Predigt vom 16. Januar 2011

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching 

Thema:

"Gelingende Elternschaft"
Predigttext

2. Sonntag i. J.  A  (Familiensonntag)  2011     16.01.2011

Gelingende Elternschaft – transparent auf Gott hin

„Jetzt hat der Herr gesprochen, der mich schon im Mutterleib zu seinem Knecht gemacht hat.“ Zwei Dinge sind in diesem Vers aus dem zweiten Gottesknechtslied des Propheten Jesaja angesprochen: 1. das natürliche Heranwachsen eines Kindes, das im Mutterleib beginnt; 2. die übernatürliche Erwählung eines Menschen durch Gott, die ebenfalls schon im Mutterleib ihren Anfang nimmt.

Den heutigen Familiensonntag will ich zum Anlass nehmen, beide Entwicklungslinien eines menschlichen Lebens zueinander in Beziehung zu setzen.

Dass Gott Vater – und darin eingeschlossen wie eine Mutter – ist, ist eine der Grundaussagen unseres Glaubens. Was aber Vater- und Mutterschaft ist, erfährt ein Mensch nicht unmittelbar von Gott her, sondern zuallererst über die eigenen Eltern. Beides muss also aufeinander bezogen sein. Das in der Familie erfahrene Vater- und Mutterbild hat unausweichlich Folgen für das Gottesbild eines Menschen. Und so möchte ich es einmal als die tiefste Berufung von Eltern bezeichnen, Gott selbst für das Kind zu repräsentieren: Gottes Ja zum Kind, Gottes begleitende Gegenwart, Gottes Liebe und Barmherzigkeit, Gottes Autorität und wegweisende Gebote. Durch ihr elterliches Tun as dem Kind konkret erfahrbar zu machen und so als Vater und Mutter durchsichtig zu sein auf die Väterlichkeit und Mütterlichkeit Gottes hin, ist die große Aufgabe von Eltern.

Die Grundlage für alles andere ist das Ja zum Kind. Gott spricht es bedingungslos immer. 

Dieses Ja aber ist heute für viele Eltern alles andere als selbstverständlich geworden. Im Zusammenhang mit der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik erschien vor einigen Wochen in der SZ ein ausgezeichneter Artikel von Nina von Hardenberg. Sie sieht in dieser Methode, per Gencheck künstlich erzeugte Embryonen je nach (mangelnder) Güte auszusortieren, einen weiteren Schritt auf dem Weg zu einer planmäßigen „Nachwuchsoptimierung“. Kinder, die möglicherweise einen Defekt oder eine Behinderung (vielleicht erst nach soundsoviel Lebensjahren) aufweisen könnten, werden heute schon in der Regel vorgeburtlich selektiert. Dahinter steht „der Wunsch nach einem perfekten Kind, der, zu Ende gedacht, etwas Unmenschliches (hat). Es ist ein Anspruch, dem auch das Kind selbst nicht gerecht werden kann, der es überfordern muss. Wer ein Kind erwartet, muss darum auch heute noch „Ja“ sagen, und nicht „Ja, aber“. Es ist eine Entscheidung für das Leben. Mit all seinen Fehlern, aber auch mit seiner Vielfältigkeit. Mit Glück und Unglück und mit Überraschungspaketen.“

Dieses Ja gilt nicht nur vorgeburtlich, sondern auch für die spätere Entwicklung von Kindern, die ja bei weitem nicht immer nach Wunsch der Eltern verläuft. Wo Kinder das bedingungslose Ja Gottes im Ja ihrer Eltern erfahren können – welch großes Glück, welch seelische Stütze.

Ein zweites: Im Alten Testament hat Gott sich als Jahwe, als der „Ich-bin-da“, geoffenbart. Die Erfahrung des Ich-bin-da, „ich habe Zeit für dich“, ist für Kinder und Jugendliche während der ganzen Zeit ihres Heranwachsens wichtig, aber nie so wichtig wie in den ersten drei Jahren des Lebens. In dieser Zeit wird, wie viele wissenschaftliche Studien nachgewiesen haben, die Grundlage für die seelische Gesundheit eines Menschen für die Dauer seines Lebens gelegt. Das Fatale gegenwärtiger Familienpolitik ist, dass sie vornehmlich Arbeitsmarktpolitik ist: möglichst schnell Mütter zurückschleusen in den Arbeitsprozess, Kinder in öffentliche Betreuungseinrichtungen. Ich weiß, dass es manchmal nicht anders möglich ist, besonders bei Alleinerziehenden oder einfach aus finanziellen Gründen. Was aber fehlt, ist eine Politik, die es unterstützt und vor allem dazu ermutigt, Kindern eine stabile Bezugsperson während der ersten drei Lebensjahre zu geben – und da ist die geeignetste Person nach allem, was man entwicklungspsychologisch weiß, einfach die Mutter – und Müttern leichter zu ermöglichen, nach dieser Zeit einen attraktiven Weg zurück in den Beruf zu ermöglichen. (Diesbezüglich müsste sich natürlich auch die Wirtschaft viel mehr in die Pflicht nehmen lassen, als dies bislang der fall ist.)

Nach heutigem Erkenntnisstand weiß man: je jünger das Kind ist, je geringer sein Zeitverständnis ist (d.h. je weniger es begreifen kann, dass die Trennung von den Eltern nur vorübergehend ist), je kürzer die Eingewöhnungszeit ist (ein Kind also im Beisein eines Elternteils die betreuende Person kennenlernen kann),  je länger die Krippenzeit, je größer die Krippengröße, je wechselhafter die Betreuung – um so größer ist die Gefahr einer gefährdung der psychischen Gesundheit. Folgen sind: Aggression, mangelndes Selbstwertgefühl, mangelndes Selbstvertrauen, mangelndes Vertrauen in andere Menschen, Konzentrationsstörungen, Bindungsunfähigkeit, kurz: gefährdete Entwicklung der emotionalen und kognitiven Fähigkeiten. Mit der derzeitigen Politik und Praxis stellen wir die Weichen für seelische Probleme der heranwachsenden Generation in einem bislang wohl nie dagewesenen Ausmaß.

Ein Drittes und Letztes: Gott will, dass wir immer mehr wir selbst werden, unsere Lebensaufgabe, unsere Lebensberufung finden, lebenstüchtig werden im Glück und im Unglück. Kinder haben daher ein Recht, um ihrer selbst willen gewollt zu sein. Kinder dürfen nicht als bloßer Zweck zum Glücklichsein Erwachsener herangezogen werden. Es gibt daher kein Recht der Eltern auf gute und ihren Wünschen entsprechende Kinder – wie viele Eltern projizieren ihre eigenen ungelebten und nicht verwirklichten Wünsche und Ziele in ihre Kinder. Vielmehr gibt es ein Recht der Kinder auf gute Eltern; auf Eltern,  die bereit sind, während dieser Lebensphase ihr Leben auf die Bedürfnisse der Kinder einzustellen.

Deshalb müssen z.B. Kinder Kinder sein dürfen, nicht schon „kleine Erwachsene“, mit denen man wie mit seinesgleichen spricht, persönliche Probleme bespricht, die man wie Erwachsene Entscheidungen treffen lässt, die sie vollkommen überfordern, usf. Seltsamerweise werden viele dieser (zu wenig Kind gewesenen) Kinder nie wirklich erwachsen. Erwachsen werden auch nicht die Überbehüteten, genauso wenig die Vernachlässigten. Weiterhin: Kinder erwarten nicht autoritäres Gehabe, wohl aber klare Autorität und Anleitung. Sie lechzen geradezu danach, in die Schranken gewiesen zu werden, weil sie einfach austesten, wie weit sie gehen können.

Mehr als dass ihnen hinten und vorn alles reingestopft wird, benötigen sie auch einmal die Einforderung von Verzicht, das Erleben von Frustration und Enttäuschung, damit sie lernen, damit umzugehen. Nichts ist verfehlter, als ihnen alle Steine aus dem Weg zu räumen. Ohne die Erfahrung, um Dinge kämpfen, sie sich mit Einsatz und Geduld erarbeiten, auch durch Niederlagen hindurch erringen zu müssen, werden sie, wie gesagt, nicht erwachsen. Im Gegenteil, sie werden geradezu zur Lebensuntüchtigkeit erzogen, mit geringer Schmerz- und Frustrationstoleranz, ohne Verlässlichkeit, unreif; unfähig auch, ihre nicht zuletzt von Gott gegebene Bestimmung und Berufung zu entdecken, zu leben und zu erfüllen, was aber nötig ist, um sein persönliches Glück zu finden.

Wenn Eltern über all das hinaus nun auch noch für ihre Kinder durchsichtig werden auf Gott hin, indem sie den Glauben vorleben, beten und so den Glauben weitergeben, erfüllen sie eine der größten und schönsten Aufgaben, die Gott Menschen auf Erden gibt; größer, schöner, erfüllender als das meiste, was wir in der Erwerbsarbeit zu tun und zu leisten vermögen.

Eine letzte Bemerkung, um das Ganze nicht zu übersteigern: Gott hegt nicht den Anspruch, dass wir: Eltern, Großeltern und andere Erziehende, alles perfekt machen. Wir alle machen Fehler, auch in der Erziehung. Bisweilen hege ich den Verdacht, dass so mancher erzieherische Unsinn auch aus der Angst resultiert, nur ja nichts falsch machen zu wollen. Statt vieler Ratgeberliteratur wäre oft das Vertrauen in die eigene Intuition, gepaart mit Liebe und einer großen Portion gesunden Menschenverstand hilfreicher.

Was aber Gott in der Tat verlangt, und zwar als der, der uns die Kinder anvertraut, ist, dass wir es immer wieder neu versuchen, ein bedingungslos Ja zu unseren Kindern zu sagen und zu leben, Zeit für sie zu haben, sie liebend, barmherzig, aber mit klarer Autorität zu begleiten, und – nicht zuletzt – ihnen Gott zu schenken.

Allen, die in dieser Verantwortung stehen und denen diese große und schöne Aufgabe anvertraut ist, wünsche ich von ganzem Herzen Gottes Beistand, Gnade und Segen.

Pfr. Bodo Windolf

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