Predigt vom 22. April 2011 (Karfreitag)

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching 
Predigttext

Karfreitag 2011

Die Einzigartigkeit der christlichen Antwort auf das Leid in der Welt

„Wo war Gott in Japan?“ So war vor wenigen Wochen ein Interview mit dem katholischen Philosophen Robert Spaemann in der Christ-und-Welt-Beilage der Zeitung „Die Zeit“ überschrieben. Spaemann sagte, dass diese Frage klassisch bislang lautete: „Wo war Gott in Auschwitz?“, und er darauf stets antworte: „Am Kreuz“. In Auschwitz habe die teuflische Bosheit des Menschen gewirkt. In Japan handele es sich um ein ungeheuerliches Zusammentreffen dreier Katastrophen. Aber, so fügt er hinzu, die Frage, wo Gott in solch furchtbaren Ereignissen sei, stelle sich nicht erst in Auschwitz oder Japan, sondern schon, wenn z.B. ein kleines Kind bösartig zu Tode gequält würde. Wir sind beeindruckt von der schieren Größe einer Katastrophe. Aber das Problem beginnt schon im Kleinen, mit dem Leid eines einzigen unschuldigen Menschen.

Spaemanns Antwort: Gott war und ist am Kreuz, will das Leid nicht erklären und auf diese Weise verständlich und einsichtig machen. Sie ist eigentlich nur ein Verweis, der Hinweis auf eine Person, in der wohl allein Antwort zu finden ist. Es ist das Einzigartige des christlichen Glaubens, dass hier ein Opfer im Mittelpunkt steht, ein Opfer mitmenschlicher Gewalt.

Warum ist das einzigartig? Werfen wir einen kurzen Blick auf die  Konzepte anderer Religionen. In  Hinduismus und Buddhismus ist kein Raum für unschuldiges Leid. Demgemäß wird hier der Glaube an Gott oder das Göttliche durch das Leid auch in keiner Weise irritiert. Leid existiert hier nur als das Resultat persönlichen Fehlverhaltens, sei es in diesem oder in einem vorherigen Leben, denn zu diesem Konzept gehört auch die Lehre von der Seelenwanderung. Schlechtes Leben bewirkt schlechtes Karma, gutes Leben gutes Karma. Erlösung aus dem Leid, das eigentlich das ganze Leben beherrscht – „Leben ist Leiden“ ist eine der Vier Edlen Wahrheiten des Buddhismus – ist nur möglich, indem ich als Person verlösche. Nicht vom Leiden, sondern vom Personsein gilt es, erlöst zu werden. Besser gesagt: Leid hört nur auf, wenn der Leidende aufhört zu existieren.

Im Islam wird, insbesondere auch von den Korangelehrten, die Frage nach dem Leid in der Welt kaum gestellt. Der Koran selbst erklärt es entweder als Strafe Gottes für begangenes Unrecht. In diesem Fall kann ihm nur durch Reue und Umkehr begegnet werden. Oder es stellt eine Prüfung Gottes dar, die nur durch Geduld und Beharrlichkeit zu bewältigen ist. Letztlich aber ist alles Gottes Wille, dessen Vorsehung Leid und Unglück verhängt. Dem Menschen bleibt nur übrig, die Haltung der Ergebung einzunehmen. Genau das, nämlich Ergebung in den Willen Allahs  ist ja auch die Bedeutung des Wortes „Islam“.

Im Prinzip ist es überhaupt erst das Judentum, das die Frage nach dem Leid Unschuldiger stellt. Die klassische Gestalt dafür ist Hiob. Dessen Freunde machen sich zu Anwälten Gottes, den Hiob anklagt, unrecht an ihm zu handeln. Sie wollen Gott gegenüber dem Gott anklagenden Hiob rechtfertigen, indem sie Hiob eine Schuld, wahrscheinlich eine ihm sogar unbewusste Schuld unterstellen.

Am Ende stellt Gott sich überraschender Weise nicht auf die Seite derer, die ihn zu verteidigen suchen, sondern auf die Seite Hiobs, auf die Seite des Leidenden. In einer Begegnung gleichsam unter vier Augen gibt er ihm Recht und doch auch nicht. Ja, so vieles in der Welt ist unbegreiflich und kann nicht durch die Gleichung: Leid = Folge von Schuld, daher Leid = Strafe begreiflich gemacht werden. Insofern hat Hiob recht. Aber auch er sieht nicht das Ganze, überblickt es nicht, am wenigsten überblickt er Gott selbst. Zuletzt bleibt nur die Haltung, die Hiob gegenüber seiner Frau eingenommen hatte. Diese hatte ihm geraten: „Verfluche Gott und stirb!“ Hiob aber erwiderte: „Wie eine Törin redet, so redest du. Nehmen wir das Gute an von Gott, sollen wir dann nicht auch das Böse annehmen? Der Herr hat gegeben, der Herr hat genommen; gelobt sei der Name des Herrn.“ (Job 1,21. 2,10).

Der Atheismus ist u.a. geboren aus dem Protest gegen diesen Gott des Hiob, aus dem Protest gegen das Leid in der Welt. Aber der Atheismus ist keine Antwort, im Gegenteil, er ist die Kapitulation vor dieser Frage. Er erklärt die Sinnlosigkeit von allem zur letzten Auskunft. Und so überlässt er die Leidenden auf eine oft geradezu zynische Weise den Tätern und ihren Machenschaften (wobei angemerkt sei, dass ich hier nur den Atheismus als Ideologie meine, nicht aber Menschen, die aus sehr persönlichen Gründen, vielleicht auch aufgrund eines großen Leides, den Glauben entweder nie gefunden oder verloren haben). Die atheistische Ideologie also kann einem Leidenden nur sagen: „Andere haben Glück gehabt, waren stärker, durchsetzungsfähiger. Du hast Pech gehabt und kannst auch nichts Besseres erhoffen. Auch keine letzte Gerechtigkeit. Denn der, der sie herbeiführen könnte, den gibt es ja nicht. Alles ist halt, wie es ist.“ 

Christlicher Glaube ist nun in einem gewissen Sinn Protest gegen solchen Protest, besser: gegen die zynische Variante des Protests gegen das Leid. Aber auch die Gestalt des Hiob ist für uns nicht die letzte Auskunft, die die Bibel für uns bereit hält. Die letzte Antwort ist nicht eine Theorie über das Leid, auch nicht einfach ein Appell an eine Haltung der Ergebung, sondern eine Person. Nicht irgendeine Person, sondern Gott selbst. Er selbst wird Hiob. Er selbst wird das unschuldig gequälte Kind. Er selbst wird der zerfetzte, zu Boden getretene, entwürdigte Mensch, der uns in nicht zählbaren Menschengestalten und Menschenschicksalen begegnet. Er selbst wird zum Ecce Homo, zum Siehe-da-der-Mensch, der Mensch in seiner ganzen Erlösungsbedürftigkeit.

Und genau das macht unseren Glauben so einzigartig gegenüber allen anderen religiösen Glaubensformen: Dass ein Opfer – ein Mensch als Opfer, Gott als Opfer – im Mittelpunkt dieses Glaubens steht. Entscheidend ist dabei: Er, der Erlöser als Opfer, ist es nicht, weil er ohnmächtig ist – wem hätte das nützen sollen; er wäre nur ein Opfer mehr in der langen Reihe der Leidensgestalten – sondern weil er, der Machtvolle, ja der All-Mächtige, sich freiwillig ohnmächtig gemacht hat. Warum? Weil Gewalt nicht Gewalt, Böses nicht Böses besiegt, sondern einzig und allein die Liebe die Macht hat, alles Dunkel der Erde zu überwinden. Deswegen hat diese Liebe sich dem Leid und der Gewalt und dem Bösen und allem Abscheulichen dieser Erde ausgeliefert. Nicht vom Himmel her hat Gott über das Finstere der Erde gesiegt – obwohl ihm das per Strafe und Verurteilung sicher möglich gewesen wäre –, sondern mitten darin, gleichsam in offener Schlacht hier auf der Erde. Nicht also das Leid Jesu als solches, sondern seine göttliche und menschliche Liebe, die für uns unvorstellbar leidend wurde, als sie auf das böse Herz des Menschen traf, hat uns erlöst.

Allen Leidenden, allen Schuldigen, allen Opfern und Tätern dieser Erde ist er ein Gekreuzigter geworden, aber nicht nur das, sondern der Auferstandene, in dem die größere Macht, die unendlich überlegene Stärke der Liebe sichtbar und offenbar wird.

Auf den Gekreuzigt-Auferstandenen zu schauen, schenkt Vergebung mitten in Schuld, schenkt Kraft und Trost mitten im Leid, schenkt Leben mitten im Tod.

Wo war Gott in Japan, in Auschwitz, im unschuldig gequälten Kind? Am Kreuz, mitten darin, an der Seite des Menschen, mögen wir es spüren oder nicht, als der, der alles einmal zum ewigen Ostern führen wird.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright  2011  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de