Predigt vom 12. Juni 2011 (Pfingsten)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching 
Predigttext

Pfingsten 2011

Andreas, der Erstberufene unter den Aposteln

Der auf 14 Jahre jeweils zu Pfingsten geplante Zyklus von neukomponierten Messen unseres Kirchenmusikers Gregor Gardemann zu jedem der Apostel und Evangelisten beginnt mit der Andreas-Messe. Der Anregung von Herrn Gardemann, doch etwas zur Person dieses Apostels zu sagen, komme ich gerne nach. 

Alles fing sehr klein an, einfach, unscheinbar. Mit gut zwei Handvoll Männern aus dem einfachen Volk, Apostel genannt, dazu noch einigen anderen Männern und Frauen, 120 an der Zahl, die am Pfingsttag um Maria im Gebet versammelt waren, begann Gott sein Projekt: den Namen Jesu, des Auferstandenen und sein Evangelium in die ganze Welt hinauszutragen. Besonders am heutigen Pfingsttag müssen wir uns bewusst machen, dass dies nicht das Werk von Menschen war, sondern Werk des Heiligen Geistes; allerdings nicht ohne jene Menschen, die bereit waren, sich und ihr ganzes Leben dem Wirken des Gottesgeistes zur Verfügung zu stellen.

Einer von diesen einfachen Leuten, Nicht-Intellektuellen, Nicht-Theologen, Nicht-Politikern, war Andreas, ein Fischer aus dem Dorf Betsaida am See Genesareth. Zusammen mit seinem Bruder Simon, dem Jesus den Beinamen Petrus gab, und dem befreundeten Brüderpaar Jakobus und Johannes betrieben sie wohl so etwas wie eine – wir würde heute sagen – Fischereigenossenschaft oder Fischereikooperative. Unter gewöhnlichen Umständen wäre sein Leben in ganz normalen Bahnen verlaufen; das Leben eines gläubigen Juden unter römischer Besatzung, hoffend auf Befreiung von dieser verhassten Fremdherrschaft durch den kommenden Messias, aber ungewiss, ob er dies je würde erleben können. 

Aus diesen normalen Bahnen wurde er restlos herausgerissen durch etwas niemals Erwartetes, durch einen Gott, der seltsamerweise nicht auf die „Großkopferten“ dieser Erde setzt, sondern auf die Menschen, die nicht viel Aufhebens von sich machen, aber bereit sind, sich den Plänen Gottes zur Verfügung zu stellen.

Und so mag dies eine erste Botschaft des Apostels Andreas an uns sein, nämlich die Frage: Will ich einfach nur mein eigenes Leben leben, oder bin ich offen für den Anruf Gottes; offen, an dem Ort, wo ich stehe und lebe, Apostel, d.h. Gesendeter zu sein; Bote des Evangeliums in unserer Zeit; Bote der Liebe, der Güte, der Barmherzigkeit Jesu Christi?

Die Evangelien liefern uns keine Biographie auch nur eines der Apostel. Aber ich denke, dass das Wenige, das sie uns über Andreas erzählen, so etwas wie kleine Blitzlichter auf seine Person sind, die etwas von seiner Persönlichkeit und darin auch etwas für uns Wichtiges aufleuchten lassen.

Ein erstes auffallendes Detail ist: Andreas ist ein griechischer Name. Das lässt vermuten, dass die Familie, in der er groß wurde, aufgeschlossen gegenüber der Kultur schlechthin der damaligen Zeit war, nämlich der griechischen.

Eine weitere Auskunft lesen wir im Johannes-Evangelium: Andreas war Jünger des Täufers Johannes. Was heißt das? Es heißt: Andreas war ein Suchender. Sein Denken und Leben ist nicht auf- und untergegangen in den kleinen alltäglichen Sorgen des Berufes, der Familie, der Freizeit. Er lebte ganz und gar ausgestreckt auf Gott hin, und deswegen, weil er dies vorbildlich in dem großen Bußprediger und Asketen Johannes verwirklicht, schloss er sich ihm an.

Menschen, die leidenschaftlich Glaubende und Suchende sind, sind in unserer Zeit rar geworden. Was ist der Grund? Ich denke, dass ein Grund die geradezu unendliche Fülle von Zerstreuungs- und Ablenkungsmöglichkeiten ist, die eine riesige Freizeitindustrie für uns bereit hält. Wir können uns den ganzen Tag mit Nichtigkeiten beschäftigen, die unsere Herzen und Hirne vollstopfen und uns permanent davon abhalten, zu den eigentlichen Fragen unseres Lebens vorzustoßen. Die Selbstverständlichkeit, mit der noch die meisten unserer Eltern, Großeltern und Urgroßeltern im Glauben groß geworden sind, die kirchlichen Feste gefeiert haben und so gleichsam die geistige Luft des Glaubens geatmet haben, ist heute vorbei. Die geistige Atmosphäre, die wir atmen und in der wir leben und unsere Kinder und Jugendlichen groß werden, ist für die weitaus meisten die einer weitgehend selbstverständlichen Glaubenslosigkeit und Gleichgültigkeit gegenüber Gott, der Kirche und ihrer Botschaft. Aber auch wenn es schwerer geworden ist, den christlichen Glauben anzunehmen und zu leben – wenn unser Leben nicht in Banalität und Trivialität versanden soll, müssten wir wenigstens Suchende sein, offen für die Möglichkeit, dass es noch mehr gibt als diese unsere Welt. Wobei ich schnell hinzufügen möchte, dass dies nicht nur für Nichtglaubende gilt. Wer an Gott glaubt und sagt: ich habe ja schon alles gefunden, was es zu finden gibt, dessen Glauben kann sehr schnell in Routine und Selbstgerechtigkeit erstarren. Lebendig und dynamisch bleibt mein Glaube nur, wenn ich auch weiterhin Gott suche, immer sensibler, hörender werde auf die Einsprechungen des Heiligen Geistes, wachsen möchte im Vertrauen auf Gott, im Gebet, in der Liebe.

Wie geht es weiter? Andreas wird durch Johannes den Täufer auf Jesus aufmerksam. „Seht das Lamm Gottes.“ Dieses Wort wird für ihn zum Anstoß, einen ganzen Nachmittag mit Jesus zu verbringen, zusammen mit einem anderen Apostel, der namentlich nicht genannt wird. Jesus muss auf ihn einen solchen Eindruck gemacht haben, dass er wenig später auf dessen Wort hin: „Kommt, folgt mir nach! Ich werde euch zu Menschenfischern machen“, alles stehen und liegen lässt und drei Jahre lang Tag und Nacht mit seinem Herrn unterwegs ist und ihm so immer vertrauter wird.

Nur noch dreimal wird Andreas in den Evangelien erwähnt. Davon will ich noch zwei Episoden wiedergeben: Einmal ist eine riesige Menschenmenge Jesus in eine einsame Gegend gefolgt. Man hat vergessen, genügend zu essen mitzunehmen. Nur ein kleiner Junge hat fünf Brote und zwei Fische. Andreas macht Jesus auf diesen kleinen Jungen aufmerksam und fügt hinzu: „Aber was ist das für so viele?“ Aber genau aus diesem Wenigen bewirkt Jesus Fülle. Alle werden satt und lassen noch übrig.

Und so erscheint mir auch das als eine zentrale Botschaft christlichen Glaubens. Mit Andreas fragen nicht Wenige: Was ist denn schon mein Leben, welche Bedeutung soll es denn haben etwa angesichts der Milliarden von Menschen, der Unendlichkeit des Universums? Die Antwort, die Jesus gibt, lautet: Alles, was in deinem Leben zu einer Gabe für andere wird – wie der kleine Junge das Wenige, das er dabei hatte, zu einer Gabe werden ließ – verwandelt sich in Fülle, in Segen, in Leibes- und Seelennahrung für Mitmenschen. Keine selbstlose Gabe ist zu gering, als dass Gott daraus nicht noch viel größere Frucht erwachsen lassen könnte.

Die zweite Episode: Eines Tages gehen Jesus und einige der Jünger – auch Andreas ist dabei – am Jerusalemer Tempel vorbei und machen Jesus auf dessen Pracht aufmerksam. Dessen ernüchternde und lapidare Antwort ist: Von diesen Mauern wird kein Stein auf dem anderen bleiben. Mit anderen Worten: alle menschliche Kunst, Technik, Errungenschaften, so groß sie auch sein mögen, tragen das Siegel der Vergänglichkeit.

Und damit schließt sich wieder der Kreis: Zum Menschsein gehört die Suche nach dem Unvergänglichen, dem Ewigen, dem Nichtzerstörbaren, dem, was bleibt. Wer nicht auch danach strebt, sondern sein Denken und Tun und so sich selbst im Vergänglichen verliert, verfehlt die tiefste Dimension unseres Daseins.

Zum Schluss: Andreas war bei den Jüngern, die ihren Meister in der bittersten Stunde seines Lebens, in seiner Todesstunde, verlassen, im Stich gelassen haben und geflohen sind. Nach diesem scheinbaren Scheitern aller Hoffnungen, die er auf Jesus gesetzt hatte, folgt der zweite grundstürzende Einschnitt seines Leben: es sind die Ostererscheinungen Jesu, des Auferstandenen, gipfelnd im Pfingstereignis. Aus dem ängstlichen Jünger wird ein Bekenner; einer, der bereit ist, lieber zu sterben als Christus zu verleugnen.

Der Überlieferung nach soll er vor allem in Griechenland missioniert haben und in Patras das Martyrium durch Kreuzigung erlitten haben. Da er sich wie sein Bruder Petrus nicht für würdig hielt, wie Jesus zu sterben, bat er, an ein X-förmiges Kreuz gehängt zu werden, das sog. Andreaskreuz. Der Legende nach soll er daran noch zwei Tage qualvoll gelebt, aber den Vorübergehenden machtvoll das Evangelium und die Liebe Christi gepredigt haben – welch ein Kontrast zu seiner Situation, in der die Bosheit von Menschen sich austobt.

Hier wird die letzte Botschaft des Apostels an uns nicht nur hörbar, sondern auch sichtbar: Wo wir unsere Kreuze, die großen und die kleinen, in vertrauendem Glauben tragen und ertragen, bekommen wir Anteil am Kreuz Christi, Anteil auch an der Fruchtbarkeit, am Segen seines Kreuzes.

Die Heiligen, so auch der hl. Andreas, sind allesamt „Kunstwerke“ des Heiligen Geistes. So wie Gottes Geist das Leben und Wirken des Apostels Andreas mehr und mehr geformt hat, so möge er dies auch an und in uns tun.

Pfr. Bodo Windolf

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