Predigt vom 23. Juni 2011 (Fronleichnam)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching 
Predigttext

Fronleichnam 2011

Henning von Gierke: Abendmahl und zwölf Begleiter – ein Interpretationsversuch

Es gibt kein Fest, sei der Anlass religiös oder profan, das wir uns ohne ein gemeinsames, festliches, wohlschmeckendes Mahl vorstellen können. Das Mahl drückt Festfreude, Gemeinschaft, Zusammengehörigkeit, ja oft Freundschaft aus; wo Unversöhnlichkeit und Feindschaft unter Menschen besteht, ist ein gemeinsames Mahl eine innere Unmöglichkeit. Gemeinsames Essen ist daher, seit es Menschen gibt, weitaus mehr als nur Nahrungsaufnahme, mehr als nur die Stillung eines elementaren Grundbedürfnisses; gemeinsames Essen ist schon immer Teil der menschlichen Kultur, Teil religiöser Kulte und Zeremonien.

Was wir daher Sonntag für Sonntag, ja Tag für Tag in der Eucharistie feiern, nimmt eine menschliche Urgebärde auf, ist tief verwurzelt in Gesten sowohl unseres menschlichen Alltags als auch menschlicher Festfreude. Zwar ist die Eucharistie unausdenkbar mehr als einfach nur ein religiöses Mahl, wie es andere Völker und Religionen kennen, aber es hat die Gestalt eines Mahles, wenn auch aufs Minimale reduziert. Denn es geht nicht um Sättigung des Leibes, sondern um Nahrung für unsere Seele, um Nahrung für die tiefsten Schichten unseres Menschseins.

Um dem auf die Spur zu kommen, was das heißen kann, können Kunstwerke, gerade auch moderne, uns eine große Hilfe sein. Zur Zeit ist in unserem Nachbarort Ismaning im Kallmann-Museum eine Ausstellung zu sehen unter dem Titel: Gaumenfreuden - Augenschmaus. Das Essen in der aktuellen Kunst. Was zeitgenössische Künstler mit dem Thema Essen verbinden, wird hier in unterschiedlichsten künstlerischen Ausdrucksformen ausgestellt. Man kann wohl sagen, dass die Mitte der Ausstellung die, wie der Flyer es ausdrückt, „berühmteste Tafel der Welt“ bildet. Die Multimedia-Installation von Henning von Gierke heißt „Abendmahl und zwölf Begleiter“. Wie viele moderne Kunstwerke bedient es sich des Mittels der Verfremdung, der Überraschung, auch der Provokation. Man sieht zwölf Gestalten beiderlei Geschlechts in den verschiedensten Lebensaltern vom Baby bis zur Greisin in unterschiedlichsten Haltungen um einen Tisch versammelt, dessen Mitte, der traditionelle Platz Jesu, leer ist. Mehrere der Menschen sind nackt dargestellt, das überraschendste Detail aber ist ein anderes. Wer sich zur Betrachtung des Gemäldes auf die gegenüberstehende Bank setzt, sieht nach einer kurzen Weile sich selbst auf dem sonst Jesus vorbehaltenen Platz sitzen. Eine Kamera projiziert den Betrachter mitten hinein in das Geschehen dieses Bildes.

Es ist gut, dass hier keine ausladende Erklärung geliefert wird, was der Künstler mit seinem Werk hat ausdrücken wollen. Für gute Kunst ist das von wesentlich geringerer Bedeutung als das, was sie im Betrachtenden auslöst: Assoziationen, Zustimmung oder Widerspruch, Irritation, möglicherweise auch Provokation, Emotionen, im besten Fall Nachdenken und Weiterdenken.

Ich möchte nur zwei Gedanken, die mir persönlich gekommen sind, herausheben, weil sie für mich in dieser ja nicht historischen, sondern aktualisierten Darstellung des Letzten Abendmahls zwei ganz wesentliche Aspekte der Eucharistie in moderner künstlerischer Sprache ausdrücken.

Zunächst zur Nacktheit einiger der dargestellten Personen: Nacktheit kann sehr schnell etwas ausgesprochen Voyeuristisches, bisweilen Obszönes bekommen. Hier aber zeigt sie den Menschen mehr in seiner Ungeschütztheit, in seiner Zerbrechlichkeit, in seiner Hoffnung auf, seinem Ausschauhalten nach Heilung und Erlösung aus den Gefährdungen, Traurigkeiten, dem schutzlosen Ausgesetztsein unseres irdischen Daseins.

Zugleich vermag sie, gerade in diesem religiösen Kontext, an eine andere Nacktheit zu erinnern, an die des ersten Buches der Bibel. Dort heißt es von Adam und Eva, dass sie nackt waren und sich nicht voreinander schämten (vgl. Gen 2,25). Diese paradiesische Nacktheit ist ein bildhafter Ausdruck für das restlose Vertrauen, das beide, Adam und Eva, ursprünglich, vor dem Sündenfall, zueinander hatten; bildhafter Ausdruck für einen Zustand absoluter Unschuld, in dem der Mensch sich nicht schützen musste vor dem anderen, weil er von ihm nichts Böses zu befürchten hatte.

Dass dieses Verlorene zurückgeschenkt wird, gehört zum Wesensgehalt unseres Glaubens und daher auch der eucharistischen Feier. Eucharistie ist immer Feier der Hoffnung. Sie will uns Hoffnung, einen Ausblick geben auf die Widerherstellung dieses ursprünglichen, paradiesischen Zustands; ein Zustand, in dem der Mensch dem Menschen nicht mehr Wolf ist, vor dem ich mich verbergen und schützen muss, sondern in dem wir einander mit restlosem Vertrauen, mit restloser Offenheit begegnen können. Dies soll aber nicht erst in einer fernen, jenseitigen Zukunft Realität werden, sondern schon hier und jetzt beginnen. Daher kann ich Eucharistie nur in der rechten Weise feiern, wenn die Begegnung mit Christus im Sakrament zur Bereitschaft wird, auch jedem meiner Mitmenschen in aufrichtiger Weise als Bruder oder Schwester zu begegnen, dem oder der ich nicht Böses, sondern die Liebe Christi schulde.

Ein zweiter Gedanke betrifft die Projektion des Betrachters in die Mitte der Tafel an den gewöhnlich Jesus vorbehaltenen Platz. Ist das nicht blasmephisch, gotteslästerlich?, könnte ein erster Gedanke sein.

Für mich drückt es auf eine höchst überraschende Weise etwas anderes, etwas sehr Tiefes jeder Eucharistiefeier aus. Er, der Mahlherr, Christus selbst, will mir in der hl. Kommunion nicht nur begegnen, sondern innerlich werden, mein Inneres erfüllen mit sich selbst. Seine Haltung, seine Gesinnung, seine Güte, seine Barmherzigkeit, seine Art, den Vater anzubeten, in und aus seinem Willen zu leben, sowie seine Art, mit den Menschen umzugehen, besonders mit den Kleinen, Geringen und Unbeachteten, kurz: seine Liebe möchte er mir mitteilen, sie in mir wiederfinden, ja er möchte sich selbst in mir wiederfinden. Mit den Worten des hl. Paulus: er möchte, dass ich ein (auf lateinisch) „alter Christus“, (deutsch) ein „anderer Christus“ werde.

Mitten in der Welt, mitten in unserem Alltag, durch unser Beten, Denken, Reden, Zuhören, Handeln Christus zu vergegenwärtigen – darauf zielt die Feier der Eucharistie. Um uns darin zu stärken, gibt sich uns Christus als Speise für unsere Seele, als Brot des Lebens; oder mit den Worten des heutigen Evangeliums: „Wer mein Fleisch isst und mein Blut trinkt, der bleibt in mir und ich bleibe in ihm.“

Freilich ist dies kein Automatismus. Die Hostie empfangen und runterschlucken, bewirkt gar nichts. Nur wer die Eucharistie gläubig und in der rechten inneren Haltung empfängt, begibt sich auf den Weg, Christus selbst gegenwärtig zu machen mitten in dieser unserer oft so zerrissenen Welt. Es ist ein Weg bis zu unserem Lebensende, auf dem Christus uns immer wieder stärken möchte, Sonntag für Sonntag, als das Brot für unser Leben und für das Leben der Welt.

Pfr. Bodo Windolf

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