Predigt vom 11. Dezember 2011 (3. Advent)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching 
Predigttext

Glück, Freude und Berufung – wie beides zusammenhängt
3. Adventssonntag (Gaudete) 2011

Dieser 3. Adventssonntag, der den Namen Gaudete ( = freuet euch)trägt, ist Anlass genug, einmal darüber nachzudenken, wie wir zu einem glücklichen, freudeerfüllten Leben gelangen? Nachdenklichere Menschen wissen, dass dies mehr sein muss, als Spaß haben im Leben. Ohne Zweifel: Spaß muss sein, Spaß gehört auch zum Leben, ohne Spaß wird das Leben trist; aber nur Spaß, Zerstreuung, Gaudi ist uns zu wenig. Glück, Freude muss noch etwas anderes sein, etwas zu tun haben mit der Erfahrung von Sinn, von Gebrauchtwerden, von Erfüllung schenkenden Aufgaben.

Wir leben in einer Zeit, in der uns eine nie dagewesen Freiheit gegeben ist, unser Leben nach unserem eigenen Geschmack, nach unseren persönlichen Vorstellungen zu entwerfen und zu gestalten. Die alten Autoritäten, die in früheren Zeiten Lebenswege bestimmt und vorgezeichnet haben, haben weitestgehend abgedankt. Nie, so scheint es, konnten Menschen so selbstbestimmt ihr eigenes Leben leben wie unsere Generation. Eigentlich müssten alle Türen zu einem erfüllten Leben offen stehen.

Das ist die eine Seite unserer Erfahrung. Die andere Seite ist, dass sich nicht wenige Menschen dennoch als extrem fremdbestimmt empfinden. Mögen die alten Autoritäten abgetreten sein, es sind andere an  deren Stelle getreten. Ein bestimmter Lifestyle, dem man sich anpassen muss, will man dazugehören; die Einbindung in Strukturen – immer wieder auch sehr fragwürdige – eines Betriebes, einer Firma, eines Berufes, die einengen und aus denen man nicht herauskommt; die Vorgaben des Mainstream und dessen, was „man“ heute denkt und sagt und tut oder nicht tut, üben oft einen enormen Druck aus; vielleicht weniger offensichtlich, dafür aber um so subtiler; einen Druck jedenfalls, dem sich zu entziehen viele nicht die innere Kraft haben.

Die Sehnsucht, authentischer zu leben, alles Fremdgesteuerte abzuschütteln und mehr zu sich selbst zu finden, ist eher größer als geringer geworden in unserer Zeit.

Wie aber soll das gelingen? Die Gestalt Johannes des Täufers, wie er uns im heutigen Evangelium begegnet, kann vielleicht einen Hinweis geben. Sein Ruf ist bis nach Jerusalem gelangt zu den jüdischen Autoritäten. Diese senden eines Tages eine Abordnung von Priestern und Leviten zu ihm, um herauszufinden, mit wem man es da zu tun habe. „Wer bist du?“, ist die Frage, mit der sie Johannes konfrontieren. Der weitere Verlauf des Gesprächs zeigt: Diese Frage ist nicht derart, dass als Antwort ein paar äußere Daten genügen würden: Ich bin männlich, 30 Jahre alt, unverheiratet und eine Art Bußprediger in der Wüste. Hier ist etwas Tieferes angezielt. Es geht um die Frage: Wer ist Johannes in seinem Innersten? Was ist seine eigentliche Identität? Wer ist er vor Gott? 

Zunächst einmal beeindruckt die gelassene Selbstsicherheit, mit der der Täufer Rede und Antwort steht. Bist du der Messias? Nein, ich bin nicht der Messias. – Bist du Elias? Nein, ich bin es nicht. – Bist du der Prophet? Nein, so antwortet er dreimal ohne jedes Zögern.

Was passiert hier? Johannes weist souverän alles ab, was andere in ihm sehen wollen, ihm als Rolle auferlegen oder wohinein sie ihn drängen wollen.

Wie oft kommt aber genau das in der Biographie von Menschen vor. Psychologen sprechen diesbezüglich von einem normativen Ideal, d.h. von einem Ideal, das Menschen nach einem ihnen von außen auferlegten Maßstab normiert und in das sie als etwas ihnen Fremdes hineingedrängt werden. Wenn du viel Geld verdienen, Karriere machen, großes Ansehen und überhaupt das Leben vor allem genießen willst, musst du dies oder jenes tun, diese oder jene Laufbahn einschlagen. Beispiel: Ein junger Mann, eine junge Frau wollen einen künstlerischen Weg einschlagen, aber dem Vater oder den Eltern schwebt eine medizinische oder juristische Karriere ihres hoffnungsvollen Sprösslings vor. Wo Menschen einem für sie unpassenden, falschen Ideal oder Lebensziel folgen, sei es fremd- oder auch selbstverschuldet, macht es auf Dauer krank und unglücklich.

Daher kann es eine sehr heilsame Frage für uns selbst sein, die wir uns bisweilen sehr ehrlich vor unserem eigenen Gewissen und vor Gott stellen sollten: Will ich das, was ich tue, wofür ich lebe, eigentlich wirklich? (In Klammern sei eingefügt, dass es hier nicht um irgendwelche unangenehme Situationen geht, denen ich am liebsten entfliehen möchte, etwa der Ausbruch aus der Ehe oder einer anderen Verpflichtung. Es geht um Situationen, in denen ich mehr oder weniger deutlich spüre, dass sich mein Leben in einer Schieflage befindet und in eine falsche Richtung geht.) Wie oft wird diese Frage allerdings verdrängt, weil es bequemer erscheint, trotz allem einfach weiterzumachen, als etwas zu ändern.

Nachdem Johannes also alle falschen Vorstellungen von sich gewiesen hat, soll er endlich sagen, wer er denn nun tatsächlich ist. Seine Antwort ist genauso klar und bestimmt wie zuvor: Ich bin die Stimme, die in der Wüste ruft: Ebnet den Weg für den Herrn. Er ist nicht der Messias selbst, aber die Stimme und der Wegbereiter des Messias. Das ist die Sendung, die Berufung, die Lebensaufgabe, die Gott ihm anvertraut hat, worin er seine tiefste Identität, weil den von Gott gegebenen Sinn seines Daseins erkennt.

Im Gegensatz zum normativen, den Menschen einer ihm fremden Norm unterwerfenden Ideal kann man hier von einem persönlichen Ideal sprechen. Sein Kennzeichen ist: es ist nicht von außen auferlegt, sondern kommt von innen, berührt den innersten Wesenskern eines Menschen. Theologisch ausgedrückt könnte man sagen: Es zeigt sich darin die Uridee, die Gott von einem Menschen hat und die er in sein Innerstes hineingelegt hat.

Dazu ein konkretes Beispiel: Vincent van Gogh. 1853 als Pfarrerssohn geboren, wollte er zunächst wie sein Vater Prediger werden. Aber bei der Aufnahmeprüfung ins theologische Seminar scheiterte er kläglich. Danach teilte er in einem zweiten Versuch als Missionshelfer unter unsäglichsten Bedingungen das Leben der Frauen und Männer in den Steinkohleminen im belgischen Borinage; er hungerte mit ihnen, kleidete sich armselig wie sie, vernachlässigte aus Solidarität mit ihnen sein Äußeres, betet nächtelang in ungeheizten Räumen – und wurde von den kirchlichen Autoritäten, die diese Lebensweise unangemessen fanden, entlassen.

Aus der nachfolgenden Lebenskrise befreite er sich, indem er zu dem seit der Kindheit vergessenen Zeichenstift griff.  Die Wiederentdeckung des Zeichnens und Malens war für ihn so etwas wie ein Berufungserlebnis, das in ihm alles verwandelte. Er hatte sein Eigentlichstes, sein Tiefstes wiedergefunden. Unglücklicherweise führte dies zu familiären Konflikten. Als er sich weigerte, die Weihnachtsmesse zu besuchen, verwies der Vater ihn des Hauses. All dies führte dazu, dass er den Gott der Kirche ablehnte und sich vom Christentum abwandte. „Siehe, ich finde ihn mausetot, diesen Gott der Pfaffen“, schrieb er an seinen Bruder Theo. Er hatte sein Elternhaus und die Kirche leider nicht als Orte erfahren, in denen er zu seiner persönlichen Berufung hat finden können. Deswegen lehnte er sie fortan ab und lebte seine ganz eigene, nichtkirchliche Frömmigkeit.

Nun glaube ich, dass dies nicht so sein muss. Im Gegenteil, ich bin sicher: Wo Kirche und Glaube in der rechten Weise gelebt und erfahren werden, sind sie eine große Hilfe, in Berührung zu kommen mit dem eigenen Wesenskern, der persönlichen Berufung, den Aufgaben, zu denen Gott mich ruft und die je nach Alter und Lebenssituation natürlich wechseln können. Da gibt es die religiösen Berufungen zu einem gottgeweihten Leben, es gibt künstlerische, wissenschaftliche, soziale, politische, pädagogische Berufungen. Dabei muss es sich überhaupt nicht um Spektakuläres handeln: für diese Kinder, diese Enkel, diese pflegebedürftigen Eltern oder andere Menschen da sein; den Beruf gewissenhafter, ehrlicher, rücksichtsvoller, fairer, selbstloser ausüben als es üblich ist; noch im Alter eine Aufgabe suchen, durch die ich für andere da bin; der Berufung eines intensiven Gebetslebens folgen; einen Mitmenschen, z.B. den Ehepartner oder jemand anderen ertragen lernen, eine Krankheit annehmen, eine Krise bewältigen lernen, und so vieles mehr.

Menschen, die ihre Berufung, ihre Lebensaufgabe gefunden haben und sie als Menschendienst und als Gottesdienst verstehen, nämlich als Berufung von Gott her für die Menschen, kann man in der Regel als sehr gelassen, erfüllt und glücklich erleben.

Ich wünsche uns allen, dass wir auf der Suche bleiben nach diesem persönlichen Ideal, nach dieser persönlichen Berufung, die Gott für jeden von uns hat und die im übrigen auch erbetet werden kann und soll; dass wir sie finden, auf ihrer Spur bleiben und so zu einem sinnvollen, erfüllten und glücklichen Leben heranreifen.

Pfr. Bodo Windolf

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