Predigt vom 24. Dezember 2011 (Hl. Abend)

St. Severin Garching

[Zurück zu Predigten/Sakramente] 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching
Predigttext

„Fürchtet euch nicht!“ – die Weihnachtsbotschaft und unsere menschlichen Ängste
(Heilig Abend 2011)

„Fürchte dich nicht!“ „Fürchtet euch nicht!“ Wie ein immer wiederkehrender Refrain durchzieht dieses Wort die ganze hl. Schrift. Mindestens dreimal begegnet es uns in der lukanischen Kindheitserzählung. Auch im heutigen Weihnachtsevangelium war es wieder zu hören. „Fürchtet euch nicht!“, so ruft der Engel den Hirten und in diesen auch uns zu, um uns allen die Freude der Geburt des Messias zu verkünden.

Doch Frage: Haben wir Grund, uns zu fürchten? Ja, die Menschen damals, die hatten viel mehr Ursache, sich zu ängstigen als wir. Wir haben doch alles im Griff, und uns geht es doch, zumindest materiell, so gut geht wie nie zuvor in der Menschheitsgeschichte. Warum also sich fürchten?

Die Psychologen und Therapeuten unserer Tage erzählen allerdings eine ganz andere Geschichte über unsere Zeit. Ihnen gilt die Angst als „eine der häufigsten Geiseln unserer Zeit“. „Wir leben im Zeitalter der Angst, heißt es. Jedenfalls scheint die Angst neben Depressionen und der vorzeitigen Geistesschwäche, z.B. der Allzheimerschen Demenz, jene seelische Störung zu sein, die die Menschen am meisten bewegt“, so schreibt einer von ihnen. (V.Faust, Seelische Störungen heute, zit. Nach A.Günthör, Licht in das Dunkel unserer Ängste, Kisslegg, 2004, 9)

Im Januar des vergangenen Jahres erschien in der FAZ ein Artikel, in dem 426 wissenschaftlich anerkannte Formen der Angst mit ihrem jeweiligen Namen aufgelistet waren.

Wer nur ein wenig Menschenkenntnisse hat, weiß, dass Angst eine Grundkonstante menschlichen Daseins ist. Es gibt kein Leben ohne Angst, ohne mehr oder weniger große Ängste. Da ist die Angst der Kinder vor dem Geschimpft-Werden, vor Strafe, vor Versagen, dass sie den Ansprüchen der Eltern nicht genügen, und bes. gravierend: immer wieder die Angst vor der Trennung der Eltern.

Neben der Angst der Kleinen gibt es auch die der Großen: die vor dem Nicht-geliebt-Sein, vor Verlust eines lieben Menschen, des Arbeitsplatzes, des Ansehens, der Anerkennung, wiederum vor Versagen, vor dem Nichterreichen der gesteckten Ziele, vor Aufdeckung persönlichen Versagens und Fehlverhaltens, vor Krankheit, Leidenmüssen, dem baldigen Tod. All das nur ein kleiner Ausschnitt aus dem fast unübersehbaren Meer verschiedenster Angstursachen in unserem Leben.

Und da mitten hinein wird auch uns anlässlich der Geburt eines kleinen Kindes das Wort gesagt: „Fürchte dich nicht!“ Warum soll dieses Kind etwas ändern können an den kleinen und großen, bewussten und verdrängten Ängsten unseres Daseins?

Ein erstes: Gott will uns die Angst vor Sich nehmen. 

Die Angst vor der Willkür, Unberechenbarkeit, bisweilen Grausamkeit der Götter ist eine Konstante in der Religionsgeschichte. Natürlich gibt es daneben auch oftmals Ausdruck des Vertrauens und der Zuflucht zu den Göttern; aber das geht immer einher mit dem Gefühl, dass der göttliche Bereich dem Menschen nicht so geheuer, ja gefährlich ist; dass man sich die Liebe und das Wohlwollen Gottes oder der Götter verdienen oder durch Opfer erkaufen muss. Leider hat das nicht selten auch das christliche Gottesbild verzerrt und verunstaltet.

Aber heute, in der Weihnacht, begegnet uns Gott in einem wehrlosen Kind. Wer sollte sich vor einem Gott, der solches tut, noch fürchten müssen? Fürchte dich nie und nimmer vor mir. Für dich habe ich das getan. Für dich bin ich auf die Erde gekommen, um dich in den Himmel zu führen. Heil, Heilung, auch deiner Ängste – das will ich für dich, will Gottes Sohn uns durch das Kind in der Krippe, das er selbst ist, sagen.

Ein zweites: Es gibt Angst, Sorge, Furcht, die ist gesund. Sie ist uns mitgegeben zu unserem Schutz, weil sie uns anspornt, vernünftige Vorsorge zu treffen, Verantwortung zu übernehmen für uns selbst und für andere, für die Gesundheit, die Zukunft und die uns vor Gefahren warnt, die einzugehen unverantwortlich wäre. Daneben gibt es natürlich auch krankhafte Ängste, Phobien, die man wohl oft nur durch eine gute Therapie bewältigen kann.

Bei dem von Gott an uns gerichteten Zuspruch: „Fürchtet euch nicht!“, geht es aber um etwas anderes. Sicher auch nicht darum, überhaupt keine Angst mehr zu empfinden – wie sollte uns befohlen werden können? – sondern darum, mit meinen Ängsten umgehen zu lernen, ihnen nicht zu erliegen, sondern sie zu überwinden, durch eine innere Gelassenheit, durch den Glauben, dass ich und alles, restlos alles in meinem Leben geborgen ist in der gütigen Hand dessen, den ich nicht fürchten muss, dessen Vorsehung, dessen Wege mit mir ich deshalb ebenfalls nicht fürchten muss, auch wenn ich sie gelegentlich überhaupt nicht verstehe.

Wer sich durch dieses Vertrauen und diese Gewissheit: Ich muss Gott nicht fürchten, von Ihm, Gott, bedingungslos geliebt und getragen weiß, der muss, um nur einige Beispiele zu nennen, nicht mehr lügen aus Angst vor Gesichtsverlust. Der muss nicht ständig mit einer aufgesetzten und falschen Fassade herumlaufen, weil er sich ständig ängstlich fragt: Was denken die Leute von mir. Der kann Fehler, Versagen, Schuld vor Gott und vor anderen zugeben und wird merken, wie frei dies ihn selbst macht und zugleich andere, weil sie sehen: Da ist einer, der gibt nicht ständig vor, perfekt zu sein, dann muss ich es ja auch nicht sein.

Wer sich in dem Gott geborgen weiß, der nicht nur Sprüche gemacht hat, sondern selbst keine „Angst“ hatte, sich der Ungeborgenheit der Welt auszusetzen, sogar bis hin zur Selbstauslieferung an die abgrundtiefe Bosheit in unserer Welt, der wird auch mit der Angst vor Schicksalsschlägen, vor dem Verlust von Lebensstandard, vor schwerer Krankheit, vor dem Tod anders umgehen. Nichts von all dem ist mehr die Katastrophe schlechthin, sondern alles, gerade auch das Negative und Schwere, kann zu einem Weg werden hin zum Eigentlichen unseres Lebens; zu Gott, der als Menschgewordener diesen Weg schon für uns  gegangen ist und zu einem österlichen Weg gemacht hat; d.h. zu einem Weg, der in das ewige Ostern einmündet, wenn wir ihn mit Ihm gehen.

Allerdings meint auch diesbezüglich das Fürchte dich nicht!, wie schon gesagt, nicht, gar keine Angst mehr vor all dem zu haben. Jesus selbst wird eine geradezu namenlose Angst vor seinem Leiden und Sterben erleben. Aber er läuft nicht davon, verdrängt nichts, in aller Offenheit spricht er zu seinen Freunden darüber – eben weil Er alles in der Hand jenes Vaters im Himmel legt, bei dem er sich restlos aufgehoben weiß.

Die Psychologie, die vor noch nicht allzu langer Zeit Glaube und Religion generell und pauschal für eine Hauptquelle von Angst hielt, ist inzwischen klüger geworden und entdeckt mehr und mehr einen tiefen und gesunden Glauben als Ressource, als Kraftquelle zur Bewältigung und für den guten Umgang mit verschiedensten Ängsten, Sorgen, Problemen, die Menschen plagen.

„Fürchte dich nicht!“ Nehmen wir dies als einen ganz wichtigen Teil der weihnachtlichen Botschaft mit nach Hause, mit in unseren Alltag, mit in die Regionen unserer Seele, wo Ängste, bewusste oder oft auch verdrängte, uns gefangen halten wollen.

Das wünsche ich Ihnen und uns allen mit den Worten des Engels: „Fürchtet euch nicht, denn ich verkünde euch eine große Freude: heute ist euch der Retter geboren, der Messais, der Herr.“

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright  2011  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de