Predigt vom 26. Dezember 2011 (2. Weihnachtsfeiertag)

St. Severin Garching

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Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching
Predigttext

Der Weg zur Religionsfreiheit in unserer westlichen Kultur
2. Weihnachtsfeiertag (St. Stephanus) 2011

Einen Tag nach dem Fest der Liebe und des Friedens, das wir  in der Geburt Jesu, des Friedensfürsten, gefeiert haben, begeht die Kirche den Gedenktag eines religiös motivierten Mordes. Nur kurze Zeit nach dem Justizmord an Jesus von Nazareth wird ein Mann der ersten Stunde des Christentums, Stephanus, Opfer fanatischer Lynchjustiz. Religiöse Intoleranz zeigt ihre hässliche Fratze. Während der nächsten etwa 300 Jahre werden Christen immer wieder Opfer solcher Intoleranz; später werden sie leider Gottes immer wieder auch Täter religiös motivierter Verfolgung.

Wie sieht die Situation heute aus? Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht von Massenmorden islamistischer Terroristen berichtet wird. Überwiegend sind moslemische Glaubensbrüder betroffen, aber die Gewalt richtet sich ganz gezielt auch auf unzählige Christen. In Erinnerung sind uns sicher noch die Anschläge auf Besucher der Weihnachts- und Neujahrsgottesdienste der letzten beiden Jahre in Ägypten. Auch in diesem Jahr wurden in Nigeria Dutzende von Christen nach dem Besuch von Weihnachtsgottesdiensten in die Luft gesprengt.

Uns muss bewusst bleiben, dass es nicht einfach der Islam ist, der solche Verbrechen begeht. Aber leider steckt dahinter eine der möglichen Ausformungen des Islam, bei denen man sich auf Stellen des Koran beruft, die Gewalt gegen Ungläubige rechtfertigen. Das überkonfessionelle christliche Hilfswerk Open Doors beschreibt die derzeitige Situation so: 80-90 % aller aus religiösen Gründen verfolgten Menschen sind Christen, vorsichtige Schätzungen gehen von 80-120 Millionen weltweit aus. Auf dem Index der Verfolgerstaaten nimmt Nordkorea den ersten Platz ein, gefolgt von Iran, Afghanistan, Saudi Arabien und insgesamt 50 weiteren, fast alles islamisch dominierten Ländern.

All das zeigt, dass Religionsfreiheit, für uns und in Europa ein nicht in Frage gestelltes Grundrecht, in vielen anderen Ländern alles andere als selbstverständlich ist.

Doch wie kam es im christlich geprägten Westen dazu? Muss man nicht sagen, dass dieses Grundrecht erst gegen die christliche Religion, besonders auch in ihrer katholischen Ausprägung, durchgefochten werden musste? Mir scheint, dass man die Frage weder mit einem einfachen Ja noch mit einem einfachen Nein beantworten kann. Daher will ich einmal versuchen, den Weg zur Religionsfreiheit unserer westlichen Zivilisation in Grundzügen nachzuzeichnen.

Im römischen Reich zur Zeit Jesu war Religions- und Kultfreiheit im Prinzip gegeben, allerdings unter einer Bedingung: man musste bereit sein, den staatstragenden Kaiserkult als Ausdruck der Loyalität gegenüber der römischen Besatzungsmacht mitzuvollziehen.

Allerdings gab es eine Ausnahme: für die einzige monotheistische Religion damaliger Zeit, das Judentum, war es ausgeschlossen, irgendeinem Menschen, und sei er der Kaiser, kultische und damit göttliche Ehrungen zu erweisen. Immerhin verstanden sich die Römer dazu, dem Judentum den Status einer religio licita, einer erlaubten Religion zu geben und so die Juden vom Staatskult auszunehmen.

Dieses Vorrecht besaßen die Christen nicht; und so waren sie, die im Vergleich etwa zum Judentum wesentlich loyaler auch dem heidnischen Staat gegenüber waren – allerdings wie die Juden nicht um den Preis der Teilnahme am Kaiserkult – in regelmäßigen Abständen scharfen Verfolgungen ausgesetzt.

Das hier sichtbar werdende Prinzip – das im übrigen für alle antiken und im Grunde menschheitlichen Kulturen galt – dass nämlich der Staat die Religion in den Dienst für seine Zwecke nimmt, änderte sich auch mit dem großen Umschwung in 4. Jahrhundert nicht. Mit dem sog. Mailänder Edikt aus dem Jahr 313 wurde auch das Christentum zur religio licita. Diese Vereinbarung zwischen den beiden Kaisern Konstantin und Licinius klingt so modern, dass ich sie ausführlich zitieren möchte: „Nachdem wir beide, Kaiser Konstantin und Kaiser Licinius, durch glückliche Fügung bei Mailand zusammenkamen, um zum Wohle aller […] zu regeln […] sowohl den Christen als auch allen Menschen freie Vollmacht zu gewähren […] ihre Religion zu wählen […] damit die himmlische Gottheit uns und allen […] gnädig und gewogen bleiben kann.[…] Wir sind seit langem der Ansicht, dass Freiheit des Glaubens nicht verweigert werden sollte. Vielmehr sollten jedermann seine Gedanken und Wünsche gewährt werden, so dass er in der Lage ist, geistliche Dinge so anzusehen, wie er selbst es will. Darum haben wir befohlen, dass es jedermann erlaubt ist, seinen Glauben zu haben und zu praktizieren, wie er will.“

Freilich, so modern der Text klingt, er kennt noch lange keine Trennung von Kirche und Staat, was als konstitutiver Bestandteil wahrer Religionsfreiheit anzusehen ist. So begann es schon unter Kaiser Konstantin und wurde fortgesetzt von seinen Nachfolgern, zumal seit der Dekretierung des Christentums als Staatsreligion im Jahr 380 durch Kaiser Theodosius, dass die religiöse Einheit des Glaubens als ein entscheidendes Mittel galt, die politische Einheit des Reiches zu wahren.

Die so entstandene Reichskirche verhielt sich über die Jahrhunderte hinweg ambivalent. Zum einen begrüßte und suchte man die Unterstützung des Staates in vielerlei Hinsicht zum Aufbau einer christlichen Gesellschaft, leider aber auch bis hin zur Unterdrückung religiös Andersdenkender. Auf der anderen Seite suchte man sich auch immer wieder aus staatlicher Umklammerung und Bevormundung zu befreien. Dies gilt insbesondere für die katholische Kirche, da die Ostkirche weitaus mehr verbandelt und abhängig war von den jeweiligen Machthabern als die Westkirche.

Auch Martin Luther und die Reformation änderte daran im Prinzip zunächst einmal nichts. Es ist einer der bis heute kolportierten Geschichtsmythen, dass Luther ein Vorkämpfer für die Freiheit des Gewissens und die Befreiung aus kirchlicher Bevormundung gewesen sei. Das ist historisch einfach falsch. Die Freiheit des Gewissens, die er für sich beanspruchte, war er mitnichten bereit, auch anderen zu gewähren. In dem Maße, wie sich seine Reformbewegung etablierte – und das verlief bei weitem nicht immer mit friedlichen Mitteln; schon im Zuge der Einführung der Reformation in bestimmten Landstrichen oder Städten waren Gewalt und Zwang an der Tagesordnung – zeigte auch er sich als ein Kind seiner Zeit, d.h. er griff auf die Unterstützung der fürstlichen Staatsmacht zurück zur Unterdrückung jener, die etwa am alten katholischen Glauben festhalten oder eine andere Form des neuen reformatorischen Glaubens (etwa in der Form des „Schwärmertums“, wie er es nannte) praktizieren wollten.

Allerdings war mit der Reformation nun doch etwas Neues in die westliche Christenheit eingedrungen. Der zwar historisch nicht belegte, aber die Sache auf den Punkt bringende Satz: „Hier stehe ich und kann nicht anderes“ war zu einer Massenbewegung geworden und nicht mehr aus der Welt zu schaffen.

Was nun folgte, war eine Jahrhunderte andauernde Selbstzerfleischung der Christen in den Konfessionskriegen. All dessen müde entwickelte erst die Aufklärung im 18. Jahrhundert die Ideen von Toleranz und Religionsfreiheit, wie wir sie heute kennen, schlug aber in Gestalt der Französischen Revolution in brutalste Formen der Unterdrückung des christlichen Glaubens um. Dieses Trauma einer entfesselten Gewaltorgie gegen alles Christliche, dann auch die Tatsache, dass die liberalen Ideen im 19. Jahrhundert in der Regel mit glaubens- und kirchenfeindlichen Polemiken einher gingen und nicht zuletzt die Ansicht, Toleranz sei nur möglich, wenn man Wahrheitserkenntnis des Menschen nicht für möglich und daher alle religiösen Überzeugungen  für gleich wahr und gleich falsch hält – all das waren Gründe, warum sich besonders die katholische Kirche so lange so schwer tat, Religionsfreiheit im modernen Sinn anzuerkennen.

Für sie war eine der entscheidenden Fragen, ob der religiöse Irrtum eigentlich ein eigenes Existenzrecht besitze oder nicht auch der Staat verpflichtet sei, die religiöse Wahrheit zu fördern und dem Irrtum keinen Platz auf dem eigenen Territorium zu gewähren. Dies war die seit eineinhalb Jahrtausenden über alle Konfessionsgrenzen hinweg vertretene und praktizierte Anschauung.

Um es kurz zu machen – erst mit dem am 7. Dez. 1965 auf dem II. Vaticanum verabschiedeten Dekret über die Religionsfreiheit Dignitatis humanae änderte sich dies. Man griff gewissermaßen auf die Praxis der Märtyrerkirche der ersten Jahrhunderte zurück. Nicht Unterstützung des Staates, sondern Gewissenfreiheit zur Ausübung der eigenen christlichen Überzeugung hatte man damals gewollt. Es setzte sich so endlich die Erkenntnis durch, dass der Staat weder die Möglichkeit noch die Kriterien hat, zu entscheiden, was religiös wahr sei und was nicht. An die Stelle des Rechtes der Wahrheit (oder dessen, was man, d.h. die Kirche, der Staat oder wer auch immer, dafür hält), wurde das Recht der Person gesetzt; nämlich das Recht, sich aus persönlicher freier Wahl dem einen oder dem anderen oder gar keinem Bekenntnis anzuschließen.

Ihren Wahrheitsanspruch hat die Kirche damit nicht aufgegeben, wohl aber eine falsche Vorstellung über die Aufgaben des Staates. Dieser hat nicht einer bestimmten Religion oder Weltanschauung zu dienen, wohl aber die Freiheit der Religionsausübung und der Gewissens in den Grenzen von Sitte und Anstand zu gewähren.

So ist die Kirche über viele Umwege zu ihrem eigensten Ursprung zurückgekehrt. Die Trennung von Kirche und Staat sowie die Anerkennung von Gewissens- und Religionsfreiheit ist schon im NT angelegt, etwa in dem Wort Jesu: „Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist“; aber auch in dem, was uns das NT lehrt über die Würde des Menschen unabhängig von seinen Überzeugungen. Gott, der uns gewürdigt hat, in seiner Menschwerdung einer von uns zu werden, um alle Menschen zum Heil zu führen, legt damit die Initialzündung für das, was wir in moderner Sprechweise Menschenwürde und Menschenrechte nennen.

So ist es eben kein Zufall, dass sich dieses Freiheitskonzept, wenn auch über einen langen Zeitraum und viele Irrungen und Wirrungen hinweg, gerade im christlichen Kulturraum durchgesetzt hat. Ob dies im islamischen Raum mit seiner in der Religion selbst angelegten unzertrennlichen Einheit von Staat und islamischem Glauben je realisieren wird, ist zumindest sehr fraglich.

Gerade an einem Festtag wie dem heutigen, da wir des ersten Martyriums eines Christen, des hl. Stephanus, gedenken, dürfen und sollen wir nun sehr dankbar sein über die Freiheit, wie sie sich in unserem Kulturraum entwickelt hat.

Pfr. Bodo Windolf

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