Predigt vom 5. Februar 2012

St. Severin Garching

 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching
Predigttext

Leben in einer Schachtel – oder?
(5. Sonntag i. J.)  5. Februar 2012

„Ein Leben in einer Schachtel“ – unter diesem Titel ist 1967 ein Zeichentrickfilm des italienischen Regisseurs Bruno Bozzetto berühmte geworden – zeigt das Leben zwischen Geburt und Tod wie ein Leben in und zwischen den „Schachteln“ eines grauen Alltags. Der ganze Film ist grau in grau gehalten. Gegen Ende werden die Bewegungen zwischen der Schachtel der Wohnung und der des Arbeitsplatzes immer schneller und hektischer, beide Schachteln, sprich Gebäude rücken immer näher zusammen, nehmen ihn in die Zange. Am Ende versucht er, mit beiden Armen und letzter Kraft die beiden Blöcke, die ihn zu zermalmen drohen, auseinanderzuhalten. Dabei nimmt er die Gestalt eines Gekreuzigten an. Das Bild wird immer kleiner, zuletzt liegt er in der letzten Schachtel, seinem Sarg, umgeben von einer mehr oder weniger beteiligten Trauergemeinde.

Dieser Zeichentrickfilm hat dieselbe Atmosphäre wie die heutige Lesung aus dem Buch Hiob: Kriegsdienst, Frondienst ist das Leben, Enttäuschung, Mühsal, der Lebensfaden verbraucht sich immer schneller, das Leben ist ein Hauch. „Nie mehr schaut mein Auge Glück“,  ist das letzte Wort. Resignation, Vergeblichkeit, Vergänglichkeit, Absurdität – das sind die Kennzeichen eines Lebens, das schließlich mit dem Tod endet. Was soll ein solch hoffnungsloser, desillusionierter Text als eine Lesung, die dazu angetan ist, uns einfach nur herunterzuziehen und depressiv zu stimmen?

Ich will noch einmal auf den Film zurückkommen, denn ich habe drei Sequenzen unterschlagen. Das Grau in Grau des Films wird dreimal unterbrochen; dreimal ist auf einmal ist alles in bunte Farben getaucht, eine blühende Landschaft erscheint, die die grauen Farben begleitenden Geräusche werden abgelöst durch schöne Musik. Das erste Mal geschieht es, als der kleine Junge auf dem Weg zur Schule einen Schmetterling sieht, aber aus seinen Träumen von der zeternden Mutter, die auf die Uhr trommelt, gerissen wird. Das zweite Mal, als er frisch verliebt seine Freundin umarmt. Ein letztes Mal, als beide ihr erstes Kind in Armen halten.

Es gibt sie: die schönen Momente, die Glücksmomente, die das Leben auf einmal in ein ganz anderes Licht tauchen; in denen etwas hereinbricht ins Leben wie aus einer ganz anderen Welt.

Und genau so möchte ich einmal das heutige Evangelium lesen. Es gibt die innerweltlichen Glücksmomente, die dem Leben Schönheit, Farbe, Fröhlichkeit verleihen. Aber es darf, wenn das Ganze einen Sinn haben soll und nicht einfach nur in der Schachtel des Grabes enden soll, die ganz andere Welt, die transzendente Welt, die Welt Gottes nicht fehlen. Dies fängt winzig klein schon in der Lesung an, denn die Klage des Hiob, die er an seine Freunde oder an irgendeine anonyme Adresse richtet, geht zuletzt über in ein Gebet: „Denk daran, dass mein Leben nur ein Hauch ist.“ Wo die Klage zu Gebet wird, öffnet sich schon unser Leben, die „Schachtel“, nach oben hin, der Himmel kann sichtbar werden. Es ist nicht mehr die dumpfe, in sich ge- und verschlossene Schachtel, in der sich der Alltag abspielt.

Im Evangelium schildert Markus uns schlicht und einfach den ersten Tag des öffentlichen Auftretens Jesu. Was wir heute gehört haben, ist die Fortsetzung der Perikope vom vergangenen Sonntag. Es ist Sabbat, Jesus besucht mit den ersten vier Jüngern, die er berufen hat, (die Brüderpaare Simon Petrus und Andreas sowie Jakobus und Johannes) die Synagoge in Karphanaum. Die Feier des Gottesdienstes ist schon als solche eine so segensreiche Unterbrechung des alltäglichen Lebens und Lebenskampfes. Einfach da sein bei Gott zusammen mit vielen anderen Getauften, singen, beten, auf Gottes Wort hören, gespeist werden mit dem Brot des Lebens.

Aber nicht nur der Himmel will einbrechen in unser Leben, sondern auch das Gegengöttliche, das Dämonische. Die erste Heilung, die Markus überliefert, ist die von dämonischer Besessenheit. Wo immer wir unsere eigenen Dämonen durch eigene Anstrengung und vor allem auch durch die Gnade Gottes überwinden, Dämonisches, Böses in uns selbst und um uns herum, ist dies wiederum ein Einbruch des Himmels in unser Leben, ein Durchbruch durch die „Schachtel“.

Der heutige Evangelienabschnitt beginnt mit dem gastfreundlichen Beisammensein im Haus des Petrus nach dem Synagogengottesdienst. Die Heilung der Schwiegermutter des Petrus eröffnet Jesu heilende Zuwendung zu den Menschen. Dann, am Abend, also nach dem Ende des Sabbat, kommen Unzählige, um von Jesus geheilt zu werden. Die heilende, helfende Zuwendung zu anderen Menschen sind auch Momente, den Himmel hereinzuholen in unser alltägliches Tun.

Aber das darf nicht hektischer Aktionismus werden. Vor Sonnenaufgang, so heißt es, stand Jesus auf, um sich zum Gebet an einen einsamen Ort zurückzuziehen. Wie notwendig für einen jeden von uns. Was die Frage stellen lässt: Wie beginne ich eigentlich meine Tage? Wie beende ich sie? Wie lasse ich Gott auch untertags immer wieder hinein in meine Gedanken, meine Beschäftigung, meine Arbeit. Ein Kreuzzeichen am Morgen, mit dem ich den ganzen Tag unter Gottes Segen stelle. Oder sich eine kurze Zeit nehmen, 2, 5 Minuten und den Tag vor Gott durchgehen, die Verpflichtungen, Gespräche, Begegnungen Ihm anvertrauen. Untertags Stoßgebete, eine kleine Unterbrechung für Stille, Besinnung, Gebet, vielleicht in einer nahen Kirche, warum nicht auch im Büro, daheim vor einem Kreuz.

„Dich suchen alle“, mit diesen Worten wird Jesus herausgerissen aus seiner Zwiesprache mit dem Vater. Ihn suchen inmitten der alltäglichen Verrichtungen, das Leben wird aufhören, einfach nur noch ein Leben unter einer Käseglocke, in einer Schachtel zu sein. Es ist, als würde man beständig unter dem geöffneten Himmel leben. Und der Lebensweg wird zu einem Lebensweg nicht in die Enge des Grabes, sondern in die offenen Weite und Schönheit und Buntheit des Himmels. Wer so lebt, kann sicher auch Phasen wie Hiob erleben, aber es führt heraus aus der Schachtel in ein Leben der Fülle, das hier und jetzt schon beginnt. Das wünsche ich uns allen.

Pfr. Bodo Windolf

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