Predigt vom 6. April 2012 (Karfreitag)

St. Severin Garching

 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching
Predigttext

Die Kraft des Kreuzes
(Karfreitag 2012)   6. April 2012

Am 9. August diesen Jahres wird sich zum 70. Mal der Todestag einer der großen Heiligen des vergangenen Jahrhunderts jähren, der Todestag von Edith Stein. Als jüngstes von elf Kindern einer jüdisch-orthodoxen Familie in Breslau geboren, legte sie mit 15 Jahren bewusst ihren jüdischen Glauben ab. Sie bezeichnete sich als strikte Atheistin, weil sie den Glauben an Gott mit ihrem Intellekt nicht in Einklang zu bringen vermochte.

Trotzdem blieb sie eine Suchende. Jahre nach ihrer Taufe, die sie mit 30 Jahren am 1. Jan. 1922 empfing, schrieb sie, dass ein Grund für ihre Konversion zum Christentum das Erleben und die Erfahrung der Kraft des Kreuzes war. Diese Kraft des Kreuzes erlebte sie in einer Freundin, deren Mann im 1. Weltkrieg gefallen war. Beide hatten eine sehr schöne Ehe geführt. Als Edith Stein ihr zum ersten Mal nach der Todesnachricht begegnete und meinte, eine völlig aufgelöste Witwe vorzufinden, konnte sie einfach nur staunen, mit welcher Größe und Gefasstheit ihre Freundin diesen Schmerz trug. Sie erfuhr hier die Kraft eines Glaubens, der ihr fremd war und sie dennoch anzog.

Die Kraft des Kreuzes. Bevor ich nachher noch einmal auf Edith Stein zurückkommen möchte, will ich Auszüge aus einem Brief vorlesen, der in der Beilage Christ & Welt der Zeitung „Die Zeit“ nach dem furchtbaren Busunglück Mitte März in der Schweiz, bei dem 22 Kinder und 6 Erwachsene starben, veröffentlicht wurde:

Liebe Eltern, ich weiß, der Schmerz ist ungeheuerlich. Diese Wunde hört niemals auf zu bluten. Als meine Tochter 1973 bei einem Autounfall starb, saß ich am Steuer. Nach dem Aufprall war ich kurz davor, einfach vor den nächsten Lastwagen auf der Autobahn zu rennen. Ich wäre am liebsten dreimal gestorben, wenn dadurch meine Tochter am Leben geblieben wäre. Ich wollte mein Leben wegwerfen. Da sah ich meinen Mann, wie er versuchte, verzweifelt die einzelnen Körperteile aufzusammeln. Ich dachte, ich kann ihm das jetzt nicht auch noch antun. … Der Geruch nach verbranntem Gummi, die Albträume und die Schuldgefühle, all das hat mich jahrelang verfolgt. … Ich war jeden Tag auf dem Friedhof. Und natürlich das Gebet! Ich war eigentlich eher eine lockere Christin. Man stand so mitten im Leben, da trat die Kirche eher in den Hintergrund. Ich bin am liebsten alleine in die Kirche gegangen und habe Zwiesprache mit Gott gehalten. Immer wieder habe ich gefragt: Warum widerfährt ausgerechnet mir ein so grausames Schicksal ... Soll ich daran zugrunde gehen?

Wir haben an der Autobahn, wo der Unfall passierte, ein Kreuz aufstellen lassen. … Warum musste sie sterben? Mit acht Jahren? Diese Frage kommt immer wieder in mir hoch. … Doch auch wenn sich das jetzt merkwürdig anhört: Heute bin ich Gott dankbar. Nicht für den Tod meiner Tochter. Aber dafür, dass ich die Kraft hatte, weiterzumachen. Dankbar, dass ich fähig war, die Liebe zu meiner Tochter auf meinen Sohn zu übertragen. Wir haben danach nämlich einen Jungen adoptiert. … Diese enorme Kraft der Liebe, das ist für mich ein Geschenk Gottes. Liebe Mütter und Väter aus Belgien, natürlich ist all das kein Trost für Euch. Ich schreibe Euch diese Zeilen, weil ich selbst darüber staune, wie ich es geschafft habe, weiterzuleben. Es ist mein ganz persönliches Zeugnis, und ich hoffe, dass es Euch Mut macht, in dieser verzweifelten Lage weiterzuleben.

Die Kraft des Kreuzes – worin besteht sie? Sicher nicht in einer Erklärung des Leides in der Welt. Manches lässt sich erklären, aber es bleibt immer ein Rest, ein großer Rest, der nicht aufgeht, wo alles Erklärenwollen verstummen muss, will man nicht zynisch werden.

Die Kraft des Kreuzes kann und darf auch nicht in einer Verklärung des Leides liegen. Als sei das Kreuz etwas in sich Gutes, weil ja Gottes Sohn selbst daran gestorben ist. Auch dieser Versuchung ist die christliche Tradition nicht immer entgangen.

Vielleicht kann man es so ausdrücken: Seit es einmal geschehen ist, dass Gott nicht über den Tränen der Welt in einem entrückten Himmel thront, sondern selbst eingetaucht ist in das Tränenmeer der Erde, den Thron der Herrlichkeit vertauscht hat mit dem Thron der Schande – seitdem hat alles Leid in der Welt teil an jenem Licht, das wir, wenn wir glauben, im Kreuz zu entdecken vermögen. So wie es kein Ostern ohne Karfreitag gibt, so auch keinen Karfreitag mehr ohne Ostern. Nur der, der von sich gesagt hat: Ich bin das Licht der Welt, konnte so viel Licht in das Dunkel von Leid und Schuld und Tod bringen, dass sich etwas Grundlegendes verändert hat für alle Menschen. Teilhabe am Kreuz ist von nun an immer auch Teilhabe am Gekreuzigten, am Geschick Jesu, des Sohnes Gottes, des Erlösers.

Zugänglich und erfahrbar wird dieses Neue für den, der glaubt. Das hat Edith Stein – und sie steht für eine unzählbare Schar von anderen Menschen – an sich selbst erlebt. Als sie 1933 in den Kölner Karmel „Maria vom Frieden“ eintrat, nahm sie den Namen Sr. Teresia Benedicta a Cruce (die vom Kreuz Gesegnete) an.

Vor den Nazis floh sie 1938 in den niederländischen Karmel in Echt. Als 1942 die holländischen Bischöfe einen Hirtenbrief veröffentlichten, in dem sie gegen die Judenverfolgung protestierten, wurden in einer postwendend erfolgten Racheaktion am 2. August 1942 244 katholisch getaufte Juden ebenfalls deportiert. Unter diesen befand sich Edith Stein zusammen mit ihrer Schwester Rosa. „Komm, wir gehen für unser Volk“, waren die Worte, mit denen sie ihre Schwester beim Einsteigen in den Zug ermutigte. Das letzte Lebenszeichen von ihr ist ein Zettelchen, das sie bei einem Stopp des Zuges im pfälzischen Schifferstadt aus dem Fenster warf. „Ad orientem“ stand darauf. Dann verlieren sich alle Spuren von ihr in der Anonymität der Gaskammern von Auschwitz.

„Ad orientem“, nach Osten ist mehr als nur eine Ortsangabe für das im Osten gelegene Polen. „Ad orientem“ meint ein anderes Licht, den Aufgang einer Sonne, die noch in der tiefsten Finsternis leuchtet; es meint Christus, die Sonne des Heils inmitten menschlichen Unheils. Es meint ein Licht, das in den Herzen der Menschen aufgehen möchte, um Hoffnung zu schenken mitten in Leid und Schmerz, um Vergebung zu schenken mitten in Bosheit und Schuld, um Leben zu schenken mitten in Tod und Vergehen.

Diese Kraft des Kreuzes erfährt der, der immer wieder gläubig darauf schaut. Gemeinsam wollen wir dies tun, wenn wir nun das Kreuz Jesu enthüllen und verehren.

Pfr. Bodo Windolf

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