Predigt vom 9. April 2012 (Ostermontag)

St. Severin Garching

 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching
Predigttext

Österliche Freiheit – Krippe – Enteignung der Kindheit
(Ostermontag 2012)

Ostern hat viele Aspekte. Ich möchte heute einen herausheben und mit einer aktuellen Debatte in Verbindung bringen, die auf den ersten Blick nichts, indirekt aber vielleicht um so mehr mit dem Osterfest zu tun hat. Es ist zu erwarten, dass das, was ich sage, beim ein oder anderen Widerspruch hervorrufen wird. Verstehen will ich die Ausführungen als Anregung zum Nachdenken.

Kurzer Rückblick auf die Osternacht. Von den sieben vorgesehenen alttestamentlichen Lesungen darf eine niemals ausgelassen werden, nämlich die vom Auszug Israels aus Ägypten. „Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus Ägypten geführt hat, aus dem Sklavenhaus.“ (Ex 20,2). Dieser Satz ist gewissermaßen die Präambel zum Verfassungstext Israels, den Zehn Geboten. Dieser Satz atmet ein großes Freiheitspathos. So sehr wir heute die altägyptische Kultur bewundern mit ihren Pyramiden, Pharaonengräbern, Skulpturen und Malereien – diese Kultur wurde auf dem blutigen Rücken hunderttausender von Sklaven erbaut, darunter jener kleine Stamm, der später zum Volk Israel werden sollte. Gott, der sein Volk – nicht zuletzt durch seine Gebote – in die (wahre) Freiheit führt, ist bis heute der Festinhalt des jüdischen Oster- bzw. Paschafestes.

Da das christliche Osterfest im jüdischen seinen Ursprung hat, muss dieser Aspekt auch in ihm enthalten sein; und er ist es, in einer nochmals vertieften Weise. Im christlichen Osterfest feiern wir nicht nur die Befreiung aus politischer Unterdrückung, sondern die aus allen knechtenden Mächten dieser Erde. Der Befreier, Christus, weist den Weg zur Befreiung aus den Fesseln von Schuld, Leid und Tod. Es ist ein Weg, der die endgültige Befreiung erst jenseits der Todesgrenze verheißt, aber hier und jetzt schon beginnt.

Was passiert nun aber in einer Gesellschaft, in der der Glaube daran immer mehr schwindet? Wird das entstehende geistig-geistliche Vakuum leer bleiben? Nein, es wird sich füllen. Wo der Gott, der uns in Christus zur wahren Freiheit führen will, keinen Platz mehr hat, drängen wieder die alten Götzen hinein, die Sklavenhaltergötter Ägyptens kehren zurück. Daher die Frage: Auf wessen Rücken und auf wessen Kosten bauen momentan wir Kultur und Wohlstand.

Ich wage eine steile These – und will sie begründen: Mir will scheinen, dass die, auf deren Rücken wir Wohlstand, Karriere und Profit bauen, zu einem nicht geringen Teil unsere Kinder sind. Ich meine, in den letzten Jahren eine Entwicklung beobachten zu können, bei der wir viel zu vielen Kindern ihre Kindheit rauben.

Wie das? Ich denke nicht in erster Linie an die inzwischen schwindelerregenden Schulden, die wir den nachfolgenden Generationen aufbürden. Ich denke vor allem an eine Familienpolitik, die sich nicht mehr am Wohl des Kindes ausrichtet, sondern an den Erfordernissen des Marktes. Der Mangel an qualifizierten Arbeitskräften – von denen im übrigen viele hätten geboren werden können, aber leider nie das Licht der Welt erblicken durften – will Mütter so schnell wie irgend möglich dem Kind entziehen und der marktkonformen Erwerbsarbeit zuführen. Ich weiß, dass es oft nicht anders geht, und zwar aus verschiedensten Gründen. Ein Grund ist, dass dem Staat die nicht erwerbsmäßige Erziehungsarbeit von Müttern und Vätern so gut wie nichts wert ist.

Symptomatisch die unsägliche Debatte um das Betreuungsgeld. Leider hat im momentanen geistigen Klima unserer Gesellschaft das Wort „Herdprämie“, mit der es diffamiert wird, keine Aussicht, zum Unwort des Jahres gewählt zu werden. Denn zu stark und zu lauthals ist die Kaste derer, die ihren Lebensentwurf dadurch zu legitimieren suchen, dass sie einen anderen Lebensentwurf verächtlich machen. Mütter, Väter, Eltern, die regelmäßig am Herd stehen und kochen, um mit ihren Sprösslingen eine Kultur des gemeinsamen Essens zu pflegen, wo Austausch stattfindet, sich auseinandergesetzt und gestritten, vor allem aber familiäre Gemeinschaft erlebt wird, müssen es sich gefallen lassen, auf diese Weise beschimpft zu werden.

Hinzu kommt: Wegen einer Minderheit von Problemfamilien sehen sich Eltern dem Generalverdacht ausgesetzt, mit Geld nicht verantwortungsvoll und zum Wohl ihrer Kinder umgehen zu können. Das ist nur noch unverschämt.

Natürlich weiß ich: an Krippen kommen manche Eltern einfach nicht vorbei. Ich verstehe, dass es für Mütter alles andere als leicht ist, Beruf und Karriere zumindest auf Zeit hintanzustellen. Zeitweiliger Berufsverzicht bedeutet leider oft dauerhafter Karriereknick. Familienglück ist ohne diesen Preis in der Regel nicht zu haben. Was ich aber vermisse, ist, die Erziehungsleistung vor allem in den ersten zwei bis drei Jahren, die zugunsten des Kindes tatsächlich persönlichen Verzicht fordert, in der öffentlichen Diskussion wenigstens genau so wertzuschätzen wie die Erwerbsarbeit; aber warum nicht sogar höher zu bewerten.

Und ich vermisse eine ernsthafte und ohne ideologische Verblendung geführte Diskussion über die Folgen von zu früher und zu langdauernder Krippenbetreuung. Ich zitiere aus einem Beitrag des Kinder- und Jugendarztes Rainer Böhm in der FAZ vom 4. April, der sich auf aus- und inländische Studien stützt und vor allem keine wirtschaftlichen Interessen verfolgt wie andere Studien: „Dank einer neuen Technik konnten Wissenschaftler … bei Kleinkindern in ganztägiger Betreuung … erstmals das Tagesprofil des wichtigsten Stresshormons Cortisol bestimmen. Entgegen dem normalen Verlauf an Tagen im Kreis der Familie – hoher Wert am Morgen und kontinuierlicher Abfall zum Abend hin – stieg die Ausschüttung des Stresshormons während der ganztägigen Betreuung im Verlauf des Tages an – ein untrügliches Zeichen einer erheblichen und chronischen Stressbelastung. … Jene Cortisol-Tagesprofile, wie sie bei Kleinkindern in Kinderkrippen nachgewiesen wurden, lassen sich am ehesten mit Stressreaktionen von Managern vergleichen, die im Beruf extremen Anforderungen ausgesetzt sind. … Aus der psychobiologischen Forschung ist bekannt, dass chronische Stressbelastung ein Kernphänomen bei misshandelten und vernachlässigten Kindern darstellt.“ Eine amerikanische Psychologin spricht hier von der „dunklen Seite der Kindheit“. „Das Immunsystem geht sozusagen unter dem Stress-Trommelfeuer in die Knie.“ Langzeitstudien zeigen, dass neben höherer Krankheitsanfälligkeit im Schnitt „Kinder 15 Jahre später verschlossener, mürrischer, unglücklicher, ängstlicher, depressiver, aufbrausender, unkonzentrierter, fahriger, aggressiver und häufiger straffällig wurden. Sie zeigten bei 42 Verhaltensindikatoren schlechtere Ergebnisse, bei keinem Kriterium schnitten sie besser ab.“ (Es sei darauf hingewiesen, dass dies statistische werte sind, also nicht auf jeden Einzelfall, wohl aber auf eine überdurchschnittliche hohe Zahl von Fällen zutrifft.)

Das Fazit des Beitrags: „Chronische Stressbelastung ist im Kindesalter die biologische Signatur des Misshandlung. Kleinkinder dauerhaftem Stress auszusetzen, ist unethisch, verstößt gegen Menschenrecht, macht akut und chronisch krank. Ein freiheitlicher Staat … ist verpflichtet, eine Gefährdung des Kindeswohls gerade in öffentlichen Institutionen auszuschließen.“ Mein Fazit: die einseitige Propagierung und Förderung von Krippenbetreuung durch Wirtschaft und Politik ist unethisch, grenzt an Kindesmisshandlung. Wo Krippenbetreuung unumgänglich ist, muss sie so schonend wie irgend möglich für das Kind ausfallen.

Ein weiteres Feld der „Enteignung der Kindheit und der Verstaatlichung der Familie“, wie der ehemalige Arbeitsministers Norbert Blüm einen Aufsatz in der „Zeit“ titelte, kann ich jetzt nur am Rand benennen. Blüm schreibt über die Schule, die bei immer mehr Kindern und Jugendlichen immer mehr Zeit aufsaugt, Dauerbelastung verursacht und immer weniger Raum für Freizeit, unbeschwertes Spiel, Abenteuer, auch mal Gammeln und Nichtstun lässt. Enteignung von Kindheit und Jugend findet auch nicht bei allen, aber bei viel zu vielen statt.

Was soll diese Thematik an Ostern? Norbert Blüm beendet seine Streitschrift mit einer Frage: „Wollen wir in einer Gesellschaft leben, in der Geld und Karriere alles ist?“

Wir alle leben in einer Zeit, in der wir uns manchen Zwängen gar nicht oder nur sehr schwer entziehen können. Wer aber an einen Gott glaubt, der uns im auferstandenen Jesus Christus in die wahre Freiheit führen will, wird sich die Freiheit bewahren, sich nicht jedem öffentlichen Diktat zu beugen. Er wird sein Leben aus Werten gestalten, die am Ende befreiender sind und glücklicher machen als, die allenthalben propagiert werden.

Und nicht zuletzt: Weil ich Hoffnung auf Auferstehung und ewiges Glück habe, muss ich nicht schon hier und jetzt alles Glück aus dem irdischen Leben herauspressen.

Dass uns das gelingt in der Gnade des Auferstandenen, wünsche ich uns allen.

Pfr. Bodo Windolf

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