Predigt vom 1. Juli 2012   13. So im Jahreskreis

St. Severin Garching

 
Prediger:
Pfarrer Bodo Windolf

St. Severin Garching
Predigttext

Die „Gesundheitsreligion“ – wie sie eine Gesellschaft krank macht
(13. Sonntag i. J., Lj. B, 2012)

Ein sterbenskrankes 12-jähriges Mädchen, eine chronisch an Blutfluss erkrankte Frau – diese kunstvoll ineinander verflochtene Geschichte möchte ich zum Anlass nehmen, einmal über den Stellenwert von Gesundheit und Krankheit in unserer heutigen Gesellschaft nachzudenken.

Diesbezüglich hat sich in unserer Zeit gegenüber früheren Generationen etwas Fundamentales geändert. Die Medizin kann heute Krankheiten kurieren, die früher unbehandelbar waren. Der Fortschritt der Medizin, der Prophylaxe, der gesundheitsfördernden Maßnahmen hat die Aussicht auf Gesundheit oder Gesundung mit Heilserwartungen aufgeladen, die es vormals nicht gab. Manfred Lütz, Chefarzt einer psychiatrischen Klinik in Köln, meint geradezu, dass wir es mit einer neuen Religion zu tun haben. Er nennt sie die Gesundheitsreligion und bezeichnet sie als die mächtigste und teuerste Religion aller Zeiten. Ein Zitat von ihm: „Es gibt Menschen, die leben überhaupt nicht mehr, die leben von morgens bis abends nur noch vorbeugend und sterben dann gesund. Aber auch wer gesund stirbt, ist definitiv tot.“

Für ihn hat dies auch und gerade etwas mit dem Verlust des Glaubens an Gott zu tun. „Die Menschen glauben zurzeit nicht mehr an den lieben Gott, sondern an die Gesundheit. Was man früher für den lieben Gott tat … das tut man heute für die Gesundheit“ (RM v. 8.2.2007, S. 19). Beispiele: wallfahren zu diesem oder jenem Wunderarzt oder gar Geistheiler; Ärzte, hochverehrt als Halbgötter in weiß; andächtige Hingabe an Gesundheitspäpste, Fitnessgurus und Wellnesspropheten; Fasten nicht mehr als Buße für Sünden und religiöse Übung, sondern als Heilfasten zum Abspecken der überflüssig angefressenen Pfunde; Bußpredigten nur noch als staatlich geförderte Missionskampagnen gegen Rauchen, Trinken und ungesundes Essen; sündigen bedeutet vornehmlich, eine kalorienreicher Sahnetorten verzehrt zu haben.

Hauptsache gesund, gehört zum Standard der Wünsche, die man einem Menschen mitgibt. Der heutige klassische Ablauf einer Party spätestens zum 40. Geburtstag: Würdigung der Person, abschließender Gesundheitswunsch, Beifall – Büfett. Die Folge von all dem: Gesundheit ist nicht mehr nur ein hohes Gut – das ist sie ja ohne jeden Zweifel; nein, das reicht nicht, sie ist für Unzählige aufgestiegen zum höchsten Gut überhaupt, zum Platzhalter Gottes.

Kann das gesund sein, Gesundheit als höchstes Gut? Ich möchte behaupten: Eine Gesellschaft, in der dies passiert, ist krank und macht krank. Sie suggeriert die unerreichbare Utopie eines von Krankheit und Behinderung freien und unbelasteten Lebens; macht mehr und mehr unfähig, mit Krankheit und Leid auf eine gute und reife Weise umzugehen; und sie steht in Gefahr, den chronisch kranken Menschen zu diskriminieren. Denn wo der gesunde Mensch der eigentliche Mensch ist, wird sehr schnell der dauerhaft Kranke, Behinderte oder Altgewordene zu einem Menschen zweiter oder dritter Klasse, empfunden als eine finanzielle und zeitraubende Belastung der gesunden Allgemeinheit, d.h. als ein v. a. auch wirtschaftliches Problem, das es möglicherweise schon im Mutterschoß oder im Alter zu entsorgen gilt.

Beispiele: Es ist symptomatisch, dass in unserem Land 95 % der Kinder, bei denen mutmaßlich Trisomie 21 diagnostiziert wurde, abgetrieben werden. Damit diese Ungeborenen mit Down-Syndrom noch früher, sicherer und ungefährlicher identifiziert werden können, will die Konstanzer Firma Lifecodexx, gefördert mit Bundesmitteln von € 500.000, eine Methode auf den Markt bringen, die ohne die für das Kind gefährliche Fruchtwasseruntersuchung durch einen Bluttest diese Behinderungen feststellen kann. Wir können davon ausgehen, dass diese neue Art des Qualitätschecks der Ungeborenen noch auf andere Erbkrankheiten ausgedehnt werden wird – mit den bekannten Folgen. Nur noch das turbogesunde Qualitätskind wird sich in Zukunft eine relativ hohe Überlebenschance ausrechnen können.

Was hier in Bezug auf die Kinder mit Down-Syndrom angezielt wird, hat Gisela Höhne, Regisseurin am Theater Rambazamba in Berlin, treffend auf den Punkt gebracht: „Das ist für mich eine der schlimmsten Situationen, die man sich vorstellen kann, dass gerade diese Menschen, die so freundlich und auch so offen anderen Menschen gegenübertreten, dass die gerade nicht mehr existieren sollen. Die Welt ist so viel ärmer ohne diese Menschen. Und ich finde es wirklich eine richtige Tragödie, dass diese Menschen – ich sage es wirklich so: ausgerottet werden sollen.“ 

Ich persönlich scheue mich nicht zu sagen: Wissenschaftler, die an einer solchen Sache forschen, eine Firma, die diese Untersuchung lukrativ vermarktet, eine Ministerin, Politiker und Beamte, die dafür Steuermittel zur Verfügung stellen, betreiben die verbrecherische Unterscheidung zwischen lebenswertem und lebensunwertem Leben und beteiligen sich am Verbrechen der tödlichen Selektion von Menschen. Nichts Neues unter der Sonne. Wir haben das alles schon einmal gehabt.

Und so sage ich es noch einmal: Eine Gesellschaft, in der Gesundheit das höchste Gut ist, ist bis in ihre Wurzeln krank.

Hier bekommt der Glaube, von dem Jesus bei fast allen seinen Heilungswundern spricht, seine eigentliche Bedeutung: es ist damit mehr gemeint als die Aussage: wenn du nur fest glaubst, wirst du auch gesund. Jesus will sagen: Ohne den Glauben kann ein Mensch gar nicht wirklich gesund sein. Denn er schneidet jene Dimension ab, die den Menschen als Menschen auszeichnet, nämlich den Bezug über sich hinaus auf Gott, der allein verdient, unser höchstes Gut zu sein. Der Mensch ohne Glauben setzt geradezu unweigerlich Götzen an die Stelle des wahren Gottes, und macht z.B. die Gesundheit zu einem solchen Götzen. Und das bleibt nicht folgenlos: ohne den Glauben an Gott, und zwar an den, der sich uns in Jesus Christus geoffenbart hat, droht eine Gesellschaft auf Dauer unmenschlich und barbarisch zu werden, unter anderem gegenüber den chronisch Nichtgesunden. 

Wenn also Jesus heilt, dann zielt er immer auf den ganzen Menschen, nie nur auf die Gesundheit des Leibes. Diese ist ein hohes Gut, aber nicht das höchste. Wir müssen auch lernen, mit Krankheit, Behinderung, Alter und Gebrechlichkeit umzugehen, und dafür ist der Glaube eine besonders gute Hilfe. 

So wünsche ich uns allen Gesundheit, besonders denen, die gleich das Sakrament der Krankensalbung empfangen; aber mehr noch wünsche ich uns allen die tröstende und stärkende Kraft des Glaubens, wenn wir von Krankheit und Gebrechlichkeit heimgesucht werden. 

Pfr. Bodo Windolf

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