Radio-Impulse für Radio Horeb vom 4. Juli 2007

St. Severin Garching

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Im Bild:
Pfarrer Bodo Windolf,
St. Severin Garching
(bei der Firmung am 20.04.2007)

Radioimpuls vom 4. Juli 2007 
"Das Böse"

Impuls in Radio Horeb vom 4. Juli 2007
Das Böse
13. Woche i.J.; Mt 8,28-34 

Es ist eine geradezu unheimliche Geschichte, der wir im Evangelium des heutigen Tages begegnen. Jesus hat mit seinen Jüngern ans andere Ufer des Sees Genesareth übergesetzt und betritt das Gebiet der Dekapolis, aus jüdischer Sicht unreines Land, Heidenland. So wie uns Matthäus die Geschichte überliefert, laufen Jesus zwei Besessene entgegen, die in nahegelegenen Grabhöhlen hausen. Markus, der diese Begebenheit auch berichtet, erzählt von nur einem Besessenen und beschreibt ausführlicher dessen Zustand: Tag und Nacht schreiend, mit Fesseln und Ketten nicht zu bändigen, sich selbst mit Steinen schlagend, eine Gefahr für jeden, der ihm zu nahe kam.

Dieser eine Besessene oder deren zwei laufen Jesus entgegen und schreien: „Was haben wir mit dir zu tun, Sohn Gottes? Bist du hierher gekommen, um uns schon vor der Zeit zu quälen?“ Und sie bitten Ihn: „Wenn du uns austreibst, dann schick uns in die Schweineherde!“ Die Antwort Jesu besteht aus einem einzigen Wort: „Geht!“ Und nun heißt es, dass die Dämonen aus den Besessenen ausfahren und hineinfahren in die Schweine, die sich in den See stürzen und ertrinken. Die Leute der nahegelegenen Stadt Gadara aber, die von dem Geschehenen hören und zu Jesus herausziehen, bitten Ihn, ihr Gebiet zu verlassen.

Was wir hier hören, ist Begegnung mit dem nackten Bösen, mit seiner zerstörerischen, vor allem auch selbstzerstörerischen Kraft und Gewalt. In der Regel liebt es das Böse, sich zu verstecken, sich den Anschein des Guten, des Faszinierenden, des Verlockenden zu geben. In seiner nackten Bosheit tritt es selten auf. Doch in der heutigen Perikope ist ihm gleichsam jede Maske heruntergerissen. Ungeschönt, abstoßend, ekelerregend tritt es Jesus in seiner nackten Widerlichkeit entgegen, in seiner destruktiven, den Menschen nahezu unter das Tier erniedrigenden Macht. Obwohl es sich oft den Schein der Freiheit zulegt – ich tue, was ich will – wird uns die Unfreiheit vor Augen geführt, in die es den Menschen stürzt.  

Was hat es mit dem Bösen auf sich? Woher kommt es? Was ist seine innere Natur? All das sind Fragen, die die Menschen seit jeher beschäftigen.

Ich möchte an dieser Stelle einen Grundirrtum ansprechen, dem gerade auch in unserer Zeit viele Menschen aufliegen und der den Versuch darstellt, das Böse als einen geradezu notwendigen Bestandteil der Welt anzusehen.

Immer wieder höre ich in Gesprächen, das Gute würden wir doch nur vor dem Hintergrund seines Gegenteils, also des Bösen und Schlechten wirklich erkennen und schätzen. Erst der Kontrast erlaube es, das Gute in seiner ganzen Leuchtkraft wahrzunehmen. Das Symbol dafür, aus dem chinesischen Kulturkreis kommend und von nicht Wenigen als Schmuck getragen, ist das Zeichen für Yin und Yang. Aus der Beobachtung heraus, dass die Welt von vielen Polaritäten geprägt ist –  wie z.B. groß und klein, dick und dünn, männlich/weiblich, Licht/Schatten, Leben/Tod etc. – schließt man, dass auch Gut und Böse, Liebe und Hass eine solch notwendige Polarität darstellen.

Für viele hat das eine  auf den ersten Blick einleuchtende Plausibilität. Gut und Böse erscheinen nur als eine von vielen Varianten dieser polaren Grundverfasstheit unseres Daseins. Das Gefährliche an dieser Auffassung ist: unversehens erscheint das Böse als ein nicht zu entbehrender Teil des Geschöpflichen. Dass es einfachhin nicht sein soll, hat in dieser Weltsicht keinen Platz. Um das Dasein in der Balance zu halten, wird es zu etwas Notwendigem. Gut und Böse gleichen hier einander einfach aus.

Die Konsequenz ist allerdings fatal: Das Böse kann damit gar nicht mehr wirklich böse sein und damit auch all das nicht, was Menschen aneinander an Furchtbarem verüben. Ob Mord, ob Vergewaltigung, ob Missbrauch, ob Raub, ob Verleumdung usf. – alles, das Gute wie das Böse, erscheint nur noch als die eine oder andere Spielart des Seins, vergleichbar mit dem, wie das Kleine dem Großen gegenübersteht, das Süße dem Sauren, die Farbe Schwarz der Farbe weiß. Und so wie ein Gemälde von Kontrasten lebt, um als schön, spannungsreich, interessant empfunden zu werden, so erfüllt auch das Böse im Gemälde der Gesamtwirklichkeit diese das Leben erst interessant machende Funktion.  

Diese Vorstellungen haben eine suggestive Kraft. Doch die Frage ist: Deuten wir damit die Wirklichkeit auch wahrheitsgetreu?

Intuitiv spürt jeder, der sich ein gesundes Empfinden bewahrt hat, dass hier etwas einfachhin Falsches, die Wirklichkeit Pervertierendes ausgesagt wird. Doch worin besteht der Denkfehler?

Ich möchte ihn aufzeigen anhand einer ganz alltäglichen Erfahrung, die wir alle kennen. Es ist eine innere Zwangsläufigkeit, dass in einer Welt, in der es Große gibt, auch Kleinere und Kleine existieren. Diese Zwangsläufigkeit besteht aber nicht in Bezug auf die Existenz von Gesunden und Kranken. Eine Welt, in der es nur Gesunde gibt, d.h. solche, deren körperliche Funktionen funktionieren, ist ohne weiteres vorstellbar. Keinem von uns käme es in den Sinn zu behaupten, es müsse Krebs, Alzheimer, Parkinson geben. Im Gegenteil träumen wir von einer Welt, in der all das endgültig überwunden ist. Nur eine solche Welt können wir Paradies oder Himmel nennen.

Dagegen ist die Vorstellung einer Welt nur mit Kranken sinnlos. Alles wäre dann einfach so, wie es ist. Was Kranksein ist, weiß man ja nur dadurch, dass man weiß, was Gesundheit ist. Krankheit ist durch Mangel an Gesundheit definiert, Blindheit durch Mangel an Sehkraft, Taubheit durch Mangel an Hörfähigkeit, nicht aber umgekehrt Gesundheit durch Mangel an Krankheit, Sehkraft durch Mangel an Blindheit, usw. Das Gute ist niemals als ein Mangel charakterisier- oder definierbar; definiert wird es stets durch sich selbst; das Negative aber immer als ein Mangel an einem Gut, das etwas oder jemandem zukommt. Ddas Negative ist eine Eigenschaft an einem existierenden Positivem, niemals aber umgekehrt das Positive eine Eigenschaft an etwas existierendem Negativem. Das Negative hat keinen Eigenstand, sondern existiert nur an oder in etwas, das als solches ein Gut darstellt; es stellt immer so etwas wie eine parasitäre Existenz dar.

Diese Asymmetrie gilt nun nicht nur für das physische Übel, sondern auch für das moralische, also für das, was wir im eigentlichen Sinn des Wortes böse nennen. Das Böse ist Mangel an Gutem im Bereich menschlichen Denkens, Redens und Handelns, der freie, willentliche Verstoß gegen das Gute. 

Was ich hier ausführe, mag manchen als eine Binsenweisheit erscheinen. Aber aus vielen Gesprächen weiß ich, dass es das nicht ist. Die Lehre von Yin und Yang ist eine von vielen Weisen, das Böse zu verharmlosen. Eine andere, die wir alltäglich in uns selbst erleben, lässt sich mit der Selbstentschuldigung beschreiben: Ich bin halt so! Das machen doch alle! Und was alle, was man so macht, kann doch so falsch nicht sein. Dazu kann die  Erfahrung einer immer tieferen Verstrickung kommen, die uns gefangen hält, etwa die durch eine schlechte Gewohnheit, die wir einfach nicht abzulegen vermögen; oder die durch ein Laster, von dem wir nicht mehr loskommen. Und die Erfahrung solcher Verstrickung kann uns zu einer inneren Resignation gegenüber dem Bösen in uns selbst führen. Gibt es einen Weg da heraus, so wie es der Besessene des heutigen Evangeliums erlebte? 

Nur wenn wir selbst an diese Möglichkeit glauben. Dabei ist der erste Schritt, dem Bösen seine Macht zu nehmen, immer und grundsätzlich, es ganz klar als solches zu erkennen und zu benennen, ohne Ausflucht, ohne Entschuldigung, in einer ganz einfachen Ehrlichkeit gegen sich selbst. Wer dann noch Christus in einem tiefen Glauben begegnet, begegnet dem, der Macht hat über das Böse. Mit dem einen Wort: Geht, das Jesus den Dämonen entgegenschleudert, zeigt der Evangelist, dass hier der Souverän auftritt, der wahre Herr der Welt und aller bösen und dämonischen Kräfte in ihr, um uns herum und bisweilen auch in uns. So machtvoll sich das Böse oft auch gebärdet in seiner Macht, uns zu versklaven – es zu erkennen, es zu bekennen ist der erste Schritt in die Freiheit. Solange wir es für uns behalten, ist es für Gott ein Problem. Sobald wir es und uns Ihm anvertrauen, beginnt ein bisweilen sehr langer Weg in jene Freiheit, die allein Gott zu schenken vermag.

Dass Gott dies tue und wir Ihn es tun lassen da, wo jeder von uns Seiner befreienden Gnade bedarf, das wollen wir erbitten, und dazu segne Sie der dreieinige Gott, …

Pfr. Bodo Windolf

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