Impuls für Radio Horeb vom 5. Dezember 2007

St. Severin Garching

[Zurück zu Impulsseite] 


www.radio-horeb.de


Im Bild:
Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching
(bei der Firmung am 20.04.2007)

"Warten"

Radio-Impuls Mittwoch der 1. Adventswoche am 5.12.2007

Warten

Christliche Feste und christliche Festzeiten beinhalten stets ein Zweifaches: Einerseits sind sie feiernde Erinnerung und Vergegenwärtigung des Handelns Gottes an uns Menschen und damit der Selbstoffenbarung Gottes; andererseits offenbaren sie stets auch etwas über den Menschen, zeigen und deuten einen wesentlichen Aspekt unseres menschlichen Daseins.

Das gilt auch für die Adventszeit. Sie ist Zeit des Wartens auf eine Ankunft; nicht auf irgendeine Ankunft, sondern auf die des Messias. Rekapitulation des alttestamentlichen Wartens Israels auf den Messias; zugleich neutestamentliches Warten auf die zweite Ankunft des schon gekommenen Messias, damit Er sein Erlösungswerk vollende. Was offenbart der Advent als Zeit des Wartens über uns Menschen?

Der Advent spiegelt, dass der Mensch von seinem Wesen her ein Wartender ist. Warten ist eine Grundkategorie unseres Daseins. Kleinkinder warten darauf, endlich in die Schule zu kommen, Schüler, mit der Schule fertig zu werden. Jugendliche können es kaum erwarten, 18 zu werden, Auszubildende und Studenten, endlich ihr erstes Geld zu verdienen. Berufstätige warten täglich auf den Feierabend, wöchentlich aufs Wochenende, Monate im voraus auf die Ferien, immer mal wieder auf Beförderung und Gehaltserhöhung, schließlich auf ihre Pensionierung. Das Hängen in der Warteschleife des Telefons steht für das nervige Warten, die Vorfreude von Kindern auf Weihnachten für das schöne Warten in unserem Leben.

Die Beispiele lassen sich beliebig vermehren. Wir leben in einem unaufhörlichen Wartestand. Das Leben scheint sich abzuspielen wie in einem Wartezimmer, aus dem es kein Entrinnen gibt. Denn ist etwas sehnlichst Erwartetes endlich eingetreten, hält es kaum je, was es verheißen hat, jedenfalls nicht auf Dauer. Das Warten auf wieder anderes geht weiter. Jede Erfüllung weicht dem Harren auf neue Verheißung.

Dies zeigt an, dass alle irdische Erfüllung nur ein Platzhalter ist. Aber wofür? Für die Erkenntnis, dass zuletzt alles Warten vergeblich ist, sinnlos, beendet erst durch den Tod, damit aber ein Warten letztlich auf – nichts? Oder ist es ein Warten auf jenes Eigentliche, das alles Warten beenden würde, das sich aber im irdischen Leben immer wieder entzieht, da es auf Erden letzte Erfüllung nicht gibt?

Pause

Literarisch hat die Überzeugung von der Vergeblichkeit alles menschlichen Wartens und Hoffens ihre bekannteste Darstellung in Samuel Becketts 1953 uraufgeführtem Theaterstück „Warten auf Godot“ gefunden. Die Protagonisten Estragon und Wladimir, die ihre Zeit damit verbringen, auf Godot zu warten, kennen ihn nicht, wissen auch nichts von ihm, nicht einmal, ob er überhaupt exitiert.

Wer Godot ist, bleibt auch dem Leser verborgen. Wobei die Deutung, dass es sich um eine Zuammensetzung aus dem englischen God und der französischen Diminutivendung -ot (wie Pierrot von Pierre) handelt, wohl eine der offen gehaltenen Möglichkeiten ist.

Für die Hauptaussage bleibt es allerdings belanglos; denn wer auch immer es sei, der das Warten beenden könnte – er kommt ja nicht. Das Warten geht ins Leere. Am Ende eines jeden Aktes verkündet ein Junge, dass sich die Ankunft Godots verspätet, er aber bestimmt am nächsten Tag kommen werde. Doch nachdem sich dies wiederholt, dämmert den beiden allmählich, dass ihr Warten überhaupt vergeblich sein könnte.

Nun aber das Seltsame: Die bedrückend pessimistiche Aussage über die Absurdität all unseres Wartens und Hoffens und damit unseres Daseins steht deutlich im Vordergrund, aber der Autor schließt sich nicht definitv ein in diese Ansicht; vielmehr lässt er gleichsam noch einen Spalt offen für eine andere Antwort. Es erscheint den beiden nämlich unmöglich, konsequent zu sein und ihr Warten einfach aufzugeben:

Estragon: „Komm, wir gehen!“
Wladimir: „Wir können nicht.“
E.: „Warum nicht?“
W.: „Wir warten auf Godot“"
E.: „Ach ja.“

Genau so endet auch das Drama, nämlich mit der abschließenden Aufforderung Estragons: „Gehen wir!“, das begleitet ist von der Regieanweisung: Sie gehen nicht von der Stelle.

Was kann das anderes heißen als: So sinnlos auch das Warten scheint, dennoch können wir nicht nicht warten? Spielt sich daher unser Leben nicht in einem Horizont unausweichlichen Wartens ab, in einer „Hoffnung wider alle Hoffnung“, wie es Paulus ausdrückt (vgl. Röm 4,18), so dass gerade diese Unausweichlichkeit wenn auch nicht einen Beweis, so doch einen Hinweis auf die Nicht-Vergeblichkeit des Wartens darstellt? 

Wie sehr dieses Warten als Grundmotiv unserer alltäglichen Erfahrungen zugleich ein theologisches ist, zeigt uns die hl. Schrift, insbesondere das Alte Testament. Dessen einzelne Teile runden sich nie zu einem in sich geschlossenen Ganzen, sondern enden stets an der Schwelle zu etwas Neuem, Erwartetem, zu neuer Zukunft, die allein Gott schenken kann. Der Pentateuch, die ersten fünf Bücher Mose, enden nach der erfolgreichen Flucht aus Ägypten und der Wüstenwanderung nicht mit dem Erreichen des verheißenen Landes, in dem „Milch und Honig fließen“, sondern an dessen Schwelle, die der sterbende Mose nicht übertreten darf. Nur von Ferne darf er das Ziel des Weges sehen.

Die Geschichtsbücher, die die Landnahme und die israelische Königszeit bis zur Zerstörung Jerusalems und des Tempels sowie die Vertreibung in fremdes, heidnisches Land behandeln, enden nicht mit der Rückkehr aus dem Exil, sondern mit der Aussicht auf sie, die sich erst im Buch Esra mit dem Edikt des Perserkönigs Kyrus realisiert.

Das Buch Maleachi schließlich als letzte der alttestamentlichen Schriften wendet den Blick auf den Kommenden, den Messias, den Gott seinem Volk schenken wird. „Bevor der Tag des Herrn kommt, sende ich zu euch den Propheten Elija.“ (Elija ist der, der den Messias ankündigen wird).

Genau diese Situation wird bestimmend für die weitere Zukunft des erwählten Volkes. Das über Jahrhunderte einander am Pessach-Fest gewünschte „nächstes Jahr in Jerusalem“ und das Warten auf den Messias ist bis heute prägend für den gläubigen Juden. 

Dieses Warten ist nun aber auch dem Christen nicht fremd. Zwar warten wir auf den, der schon gekommen ist, aber die letzte Vollendung der Welt und menschlichen Wartens auf sie steht noch aus. Diese Spannung zwischen dem Schon und dem Noch-nicht ist charakteristisch für den christlichen Advent, durch den wir uns gleichsam hineinstellen in den alttestamentlichen Advent des jüdischen Volkes, der aber zugleich darüber hinausweist auf den schon gekommenen Messias. 

Angesichts dieser Befunde stellt sich allerdings die Frage: Können wir das überhaupt noch – warten? Wie wohl zu keiner anderen Zeit der Menschheitsgeschichte läuft in unserer Wohlstandsgesellschaft eine „Sofort-Befriedigungs-Maschinerie“, die Verzicht, Aufschub der Befriedigung, Warten, bis die rechte Zeit da ist – im Bereich von Liebe und Sexualität wohl mit besonders verheerenden Auswirkungen – gar nicht mehr kennt; eine Haltung, die auch und gerade bei Kindern kaum mehr einübt wird. Alles ist überall zu jeder Zeit in Überfülle da. Das Weihnachtsgebäck, das schon im Oktober zu kaufen ist, ist nur ein Symptom für diese allgemein festzustellende Zeiterscheinung.

Auf Dauer kann sich dies nur fatal auswirken. Wo ein Mensch alles sofort haben muss, wonach ihm gerade der Sinn steht, wird die Schwelle der Frustrationstoleranz immer niedriger, das Gefühl des Unwohlseins und Leidens stellt sich ungleich schneller ein, wenn nun doch einmal ein Mangel eintritt. Vor allem aber wird das Warten, das Sich-Ausstrecken nach den eigentlich wichtigen Inhalten eines erfüllten Lebens getötet. Wenn der Bauch satt und die anderen Triebe das Ihre bekommen haben, was brauche ich dann noch mehr? Dann habe ich doch, was das Leben zu bieten hat! Braucht es dann noch Gott?  

Die Adventszeit bietet die Chance, sich zu fragen: Worauf warte eigentlich ich? Kann ich warten? Bin ich ein nach Gott Ausschauender?

In diesem Sinn wünsche ich Ihnen allen einen gesegneten Advent. Dazu begleite Sie der dreieinige Gott,

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright   2007  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de