Impuls in Radio Horeb Jona und das Gericht Gottes Das kleine Buch Jona, aus dem wir in der
heutigen Lesung einen Abschnitt hören, ist eine der ganz kostbaren Perlen unter
den alttestamentlichen Prophetenbüchern und ragt auf eine ganz eigene Weise aus
ihnen heraus. Ich will den Inhalt kurz wiedergeben: Jona wird nach Ninive
gesandt, um der großen Stadt wegen ihrer Bosheit das Gericht, nämlich den
baldigen Untergang zu predigen. Worin die Bosheit Ninives besteht, wird nicht
verraten. Jona will sich dem Auftrag entziehen, indem er ein Schiff nach
Tarschisch – wohl Tartessus in Spanien, d.h. eine Stadt am westlichen Ende der
damals bekannten Welt – besteigt, um vor Gott zu fliehen. Unterwegs kommt ein
Sturm auf, durch den das Schiff unterzugehen droht. Während die
Schiffsmannschaft ums Überleben kämpft und zu ihren Göttern betet, schläft Jona
im Rumpf des Schiffes. Als sie ihn wecken und auffordern, zu seinem Gott zu
beten, hört man zwar nicht, dass Jona beten würde – wie sollte er auch beten zu
dem, vor dem er auf der Flucht ist – wohl aber sein Bekenntnis zu Gott, der die
ganze Welt, Himmel und Erde, erschaffen hat. Man wirft das Los, um
herauszufinden, wer der Verursacher des Unglücks sei. Das Los fällt auf Jona,
der nun notgedrungenerweise bekennt, dass er auf der Flucht vor Jahwe ist. Er
bietet an, sich ins Meer werfen zu lassen, aber all diese in den Augen Israels
verlorenen Heiden wollen davon nichts wissen, werfen den Ballast über Bord und
rudern um so kräftiger. Doch all das nutzt nichts, und so willigen sie
schlussendlich doch darin ein, Jona ins Meer zu werfen, gleichzeitig seinen Gott
um Verzeihung bittend. Augenblicklich legt sich der Sturm und Jona wird von
einem Fisch verschlungen. Drei Tage verbringt er in der Tiefe des Meeres,
geborgen im Inneren des Tieres, von wo nun endlich sein Gebet zu Jahwe
aufsteigt. Der endlich befiehlt dem Fisch, Jona dem Leben wiederzugeben und ihn
an Land auszuspeien. Nochmals erhält Jona den Auftrag zur Gerichtspredigt in
Ninive, diesmal gehorcht er ohne Widerspruch. Drei Tage lang durchwandert er die
riesige Stadt und predigt: „Noch vierzig Tage, und Ninive wird zerstört werden.“
Das Unwahrscheinliche passiert: Die Stadt einschließlich des Königs bekehrt
sich, alle einschließlich des Viehs tun Buße durch Fasten und Abkehr von allem
Unrecht in der Hoffnung, Gott lasse von seinem Zorn ab und sich das Unheil
gereuen, das er durch Jona angedroht hatte. Tatsächlich: das Erhoffte tritt ein
und Gott verwirklicht seine Drohung nicht. Das wiederum verdrießt Jona, der mit
Gott hadert und ihm sagt, genau deswegen habe er gar nicht gehen wollen, weil er
wusste, dass er „ein gerechter und barmherziger Gott ist, langsam zum Zorn und
reich an Gnade“. Sterben will er in der heißen Wüste am Rand der Stadt aus
Protest gegen einen Gott, der Barmherzigkeit statt Untergang walten lässt und
seine eigenen Prophezeihung vereitelt. Doch Gott reagiert gnädig auf den Zorn
des Jona. Er lässt ihm eine Rizinusstaude wachsen, die ihn vor der heißen Sonne
schützen soll. Allerdings verdorrt dieser binnen kürzester Zeit durch den Stich
eines ebenfalls von Gott geschickten Wurmes. Nun will Jona, dem zusätzlich von
Gott bestellten heißen Wüstenwind ausgesetzt, voller Groll gegen Gott,
demgegenüber er sich im Recht wähnt, endgültig sterben. Aber nun erhält er eine
letzte Lehre von Gott, die den Schlüssel zum Verständnis des Ganzen enthält und
mit der das Büchlein dann auch endet: „Du hast Mitleid mit dem Rizinusstrauch,
um den du dich nicht gemüht hast und den du nicht herangezogen hast, der in
einer Nacht heranwuchs und in einer Nacht verging. Und ich soll nicht Mitleid
haben mit Ninive, der großen Stadt, in der mehr als hundertzwanzigtausend
Menschen leben, die nicht zwischen rechts und links unterscheiden können, und
soviel Vieh?“ Es ist daher eine Lehrerzählung, die in ihrem Heilsverständnis einen Höhepunkt des AT`s darstellt; die auf eine großartige Weise zeigt, was unter Gericht Gottes zu verstehen ist; die auf geradezu humoristische Weise das enge Heilsverständnis Israels aufbricht, dass nämlich allein Israel als auserwähltes Volk auf die heilspendende Zuwendung Jahwes hoffen darf. Vermutlich ist das Büchlein, aus dem eine ferne Erinnerung an das 612 v. Chr. zerstörte Ninive spricht, in der Zeit nach dem babylonischen Exil, also etwa im 5. Jahrhundert v. Chr., niedergeschrieben worden. Israel ist in der Versuchung, sich ganz in sich selbst einzukapseln als erwähltes Volk, und die ganze Menschheit außerhalb als verloren zu betrachten. Gegenüber solchem Partikularismus und Heilsegoismus zeigt das Buch Jona eine ungeheure Weite und Universalität des gnädigen Handelns Gottes. In dieser Geschichte ist die ganze Welt sympathisch: die heidnischen Seeleute, die in Not sind, der heidnische König, die Bewohner und selbst die Tiere in Ninive, alle, bis auf den einzigen Israeliten, der auftritt, der Prophet Jona; aber selbst ihm gegenüber tritt Jahwe voller Nachsicht, Barmherzigkeit und Gnade auf. Wie zeigt sich Gott hier? Wie zeigt sich das Wesen seines Gerichts? Zunächst zeigt Jahwe sich durchaus als der, der Nein sagen muss. Die Bosheit in Ninive, über deren Art wir, wie gesagt, nichts erfahren – auch das ein Hinweis darauf, dass hier etwas Allgemeingültiges ausgesagt wird – muss Gott verurteilen. Er kann nicht einfach über sie hinwegsehen und ihr gegenüber gleichgültig bleiben. Dies würde zu einem vollkommen falschen und irreführenden Begriff von Barmherzigkeit führen. Würden wir Gottes Liebe als eine solche verstehen, die das Böse in der Welt nicht richtet, verurteilt und bestraft, dann würden wir Gott zum Verbündeten der Täter gegen die Opfer menschlicher Bosheit machen. Das absolute Nein Gottes gegenüber dem Bösen und der Sünde ist eine innere Konsequenz seiner Liebe. Daher ist auch das Gericht Gottes, von dem wir heutzutage so ungern hören und über das auch kaum mehr gepredigt wird, ein notwendiges Moment eben Seiner Liebe und von ihr nicht zu trennen. Doch das Nein Gottes betrifft immer die Sünde, nicht den Sünder selbst. Sein Nein will nicht vernichten, sondern das Ja gebären. Das Nein Gottes droht mit Untergang, mit Untergang als innere Konsequenz des Bösen, damit der Untergang verhindert werde. Es droht mit Tod als innerer Frucht der Sünde, damit statt dessen durch Umkehr das Leben neu aufblühe. Daher ist der innerste Kern jeden Neins Gottes ein um so größeres Ja. Genau das ist es, was Jona lernen muss und mit ihm Israel, dem diese Erzählung gilt, aber auch wir selbst, die wir bis heute das Buch Jona als Gottes Wort an uns hören und lesen. Mit Jona, der es vorwurfsvoll sagt, können wir zustimmend beten: „Wo Du, Gott, Nein sagst, da sagst Du immer schon Ja. Du kannst nicht auf Tod, sondern nur auf Leben hin verneinen, Du kannst nur aufrichtend richten.“ „Weil ich das wusste, bin ich vor dir weggelaufen“, so fährt Jona fort. Wir dürfen sagen: „Weil Du, Gott, so bist, brauche ich vor Dir nicht davonzulaufen. Ich brauche auch vor deinem Gericht nicht davonzulaufen. Auch wenn Du Nein sagen musst zu etwas in meinem Leben, Du sagst es nur, weil Du Ja zu mir sagst. Du willst mich aufrichten, wenn Du richtest. Du willst meine Umkehr, damit ich dem Leben und nicht dem Tod entgegengehe. Danke, Herr, dass Du mein Leben willst, dass Du willst, dass Deine Güte in mir sei, dass ich ganz der werde, als den Du mich erdacht hast.“ Dass wir in dieser österlichen Bußzeit den Umkehrruf Jesu so verstehen und ihm folgen, das will ich für uns alle erbitten, und dazu segne euch … |