Impuls für Radio Horeb vom 27. Februar 2008

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching
(bei der Firmung am 20.04.2007)

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Warum wurde Jesus hingerichtet?"

Impuls in Radio Horeb
Mittwoch, 3. Fastenwoche, 27.02.08

Warum wurde Jesus hingerichtet?

Jüdische Gruppierungen und ihre Messias-Vorstellungen

„Warum musste Jesus Sterben? Er hat doch niemandem etwas Böses getan!“ Dies ist eine besonders von Kindern immer wieder gestellte Frage. Eine Antwort ist nur möglich, wenn man den Hintergrund der damaligen Zeit kennt. Hingerichtet wurde Jesus als Gesetzesübertreter, obwohl man entgegen der landläufigen Meinung gerade nicht sagen kann, er habe sich vom jüdischen Gesetz distanziert. Im Gegenteil: So hören wir ihn im heutigen Evangelium sagen: „Denkt nicht, ich sei gekommen, das Gesetz aufzuheben. Ich bin nicht gekommen, um aufzuheben, sondern um zu erfüllen. Wer auch nur eines von den kleinsten Geboten aufhebt, wird im Himmelreich der Kleinste sein.“ Was also war das Problem, das seine Zeitgenossen mit ihm hatten? Dazu will ich einen Blick auf das Judentum der Zeitenwende werfen.

Dieses war alles andere als eine homogene Glaubensgemeinschaft. Es gab die unterschiedlichsten Gruppierungen. Insgesamt war die Zeit geprägt von einer großen Erwartung kommender Umbrüche, v.a. durch den erhofften Messias, brodelnd und voller (auch gewalttätiger) Unruhe.

Die meisten Auseinandersetzungen hatte Jesus mit der Gruppe der Pharisäer. Das Wort bedeutet „die Abgesonderten“. Sie gingen in den Jahren nach 150 v. Chr. wohl aus der Gruppe der sog. „Chassidim“, der „Frommen“ hervor, die während der makkabäischen Kriege Gesetz und Tempel auch mit der Waffe in der Hand verteidigten. Sich selbst verstanden die Pharisäer als solche, die sich durch die Kenntnis und die peinlich genaue Beobachtung des mosaischen Gesetzes, der Tora, vom ungebildeten, d.h. gesetzesunkundigen Volk abhoben. Dieses nannten sie daher oft verächtlich „Amme-ha-Arez“ (wörtlich: „das Volk des Landes“, „dummes Volk“).

Um die einzelnen Gebote der Tora zu schützen, umgaben sie sie mit einer Art „Zaun des Gesetzes“, d.h. mit zusätzlichen Vorschriften (wie z.B. die genaue Festlegung der Zahl der Schritte, die man am Sabbat gehen durfte, ohne das Sabbatgebot zu verletzen). Neben der Sabbatruhe legten sie größten Wert auf die rituellen Reinheits- und Speisevorschriften und den exakt gezahlten Zehnten. Gerade dieser „Zaun des Gesetzes“ aber war immer wieder Anlass zu Zusammenstößen mit Jesus.

Im Volk wurden sie trotz der erwähnten Überheblichkeit als „Fromme“ und „Gerechte“ geschätzt, nicht zuletzt auch deshalb, weil sie nicht wie die Sadduzäer mit den Römern paktierten. Ihr Einfluss auf die Menschen war jedenfalls ziemlich groß, ihre Zahl schätzungsweise um die 6000.

Auch sie erwarteten den Messias, doch von Aufstand und Kampf wollten sie (im Unterschied zu anderen jüdischen Gruppen) nichts wissen. Denn Kampf bedeutete Berührung mit Blut und Leichen, beides aber machte unrein. Nach ihrer Auffassung würde das Kommen des Messias Frucht allein der „Gerechtigkeit“, und das bedeutete der Gesetzestreue sein. Daher sagten sie: Würden alle Israeliten wenigstens einen Tag lang ohne die kleinste Gesetzesübertretung leben, erschiene noch am selben Tag der Messias. Dieser selbst würde durch vollkommene Gesetzeserfüllung der vollkommen Gerechte sein. Daher erwarteten sie auch, dass er aus ihren eigenen Reihen als der vollkommenste und gesetzestreueste Pharisäer hervorgehen würde.

Scharfe Gegner Jesu wurden daher viele von ihnen deshalb, weil sie ihm vorwarfen, das Gesetz des Mose, v.a. den Sabbat, zu missachten. Noch schlimmer war, dass er mit Sündern aß, Kranke berührte und sogar einen Zöllner in die Schar seiner Jünger aufnahm. Der Verkehr mit diesen Unreinen machte ihn selbst unrein und bewies, dass er kein „Gerechter“ und damit auch nicht der Messias sein konnte.  So wurden sie sicher zum Befürworter seines Todes, aber die größere Schuld daran trugen ohne Zweifel die Sadduzäer.

Wer waren diese? Sie traten um 130-120 v. Chr. erstmals als organisierte Partei auf. Ihre Mitglieder gehörten überwiegend dem Priesteradel an und stellten von 6-70 n. Chr. die Hohenpriester. Sie waren die Herren des Tempels und Leiter des Kultpersonals, erkannten als hl. Schrift nur die Tora, d.h. die fünf Bücher Mose an, leugneten im Gegensatz zu den Pharisäern die Auferstehung der Toten und waren insbesondere bestrebt, ihren politischen Einfluss nicht zu verlieren. Daher arbeiteten sie oft eng mit den jeweiligen Machthabern zusammen, zur Zeit Jesu mit den Römern. Ihre Antwort an Pilatus im Prozess gegen Jesus: „Wir haben keinen König außer dem Kaiser“ (Joh 19,15) ist symptomatisch und zeigt ihren ganzen Opportunismus. Einen Messias erwarteten sie übrigens nicht. Sie sahen in Jesus vor allem einen Gotteslästerer, weil er sich Gott gleich machte (vgl. Joh 5,18 u. 10,33) und eine Bedrohung für ihre Macht und ihren Einfluss.

Als letztes möchte ich auf die Gruppe der Zeloten eingehen, durch die ein besonderes Licht auf die Verurteilung Jesu fällt. Deren Ausgangspunkt bildete eine römische Verwaltungsmaßnahme, nämlich die Steuerschätzung der Personen und Güter, die Quirinius, römischer Legat von Syrien, 6 n. Chr. durchführen ließ. Die Empörung der Juden darüber entlud sich in verschiedenen Aufständen, zu deren Anführern der Pharisäer Sadduk und der Galiläer Judas von Gamala gehörten. Obwohl die Römer die Erhebungen niederschlugen, breitete sich die daraus hervorgehende zelotische Bewegung im ganzen Volk aus. Während das Schlagwort: „Kein Herr über uns als der Herr“ für die Pharisäer dazu führte zu sagen: „… deshalb vollkommene Erfüllung des Gesetzes“, wurde es für die Zeloten zu einer politischen Kampfparole: „… deshalb Kampf gegen alle, die über uns herrschen wollen.“ Entsprechend deutete dieser jüdische Nationalismus den Messias in einen kriegerischen Helden um, der mit dem Schwert in der Hand die politischen Verhältnisse umkehren, die Römer vertreiben, Israel befreien und Judas gerechte Herrschaft über die anderen Völker aufrichten würde. Urbild dieser Messiasvorstellung waren die kriegerischen Makkabäer.

Entsprechend waren die Zeloten gleichsam die „Djihadisten“, die Heiligen Krieger ihrer Zeit, überfielen Einzelposten, töteten (angeblich) verräterische Landsleute und radikalisierten sich mit der Verschärfung der römischen Unterdrückungsmaßnahmen zu einer terroristischen Untergrundbewegung. Da sie unter dem Mantel einen Dolch, die „sica“, mitführten, wurden sie auch Sikarier genannt. Durch ihren Fanatismus rissen sie ihr Volk mithinein in den großen Aufstand von 66-70 n. Chr., der zur Zerstörung des Tempels durch den Feldherrn und späteren römischen Kaiser Titus führte. Einer der Apostel, Simon der Zelot, hat der Bewegung sicher nahegestanden, wenn er ihr nicht sogar angehörte.

Dieser Hintergrund macht auch ein Detail aus dem Prozess Jesu verständlicher, das leicht übersehen wird und  den Gegensatz seiner Sendung zu all diesen Bewegungen grell beleuchtet.

Mit den immer wieder aufflackernden jüdischen Aufständen der beiden Jahrhunderte vor und nach Christus ging auch das Wiederholte Auftreten von Anführern einher, die sich als Messias ausgaben. Ein solcher war wohl auch jener Mann namens Barabbas, der an einem Aufstand teilgenommen und wegen Mordes angeklagt war (Mk 15,7) und zwischen dem und Jesus das Volk wählen sollte: „Wen soll ich freilassen, Barabbas oder Jesus, den man den Messias nennt?“, fragt Pilatus auf dem Höhepunkt des Prozesses. Die einhellige Antwort der manipulierten Masse: „Barabbas!“ (Mt 27,17.21) Über ihn heißt es: „Barabbas aber war ein Räuber.“ (Joh 18,40) Im damaligen Kontext kann nun aber das griechische Wort für Räuber auch mit „Widerstandskämpfer“ wiedergegeben werden. Matthäus bezeichnet ihn als einen „berühmten Gefangenen“ (27,16), weswegen man wohl nicht fehlgeht, ihn als den Anführer dieses Aufstands und damit als eine Art messianische Figur anzusehen. Dies wird noch wahrscheinlicher, wenn man bedenkt, dass Bar-Abbas „Sohn des Vaters“ heißt. Dies ist eine typisch messianische Benennung eines herausragenden Anführers der messianischen Bewegung. Eine ähnliche Namensbildung, die einem Kultnamen nahe kommt, kennen wir bei Bar-Kochba („Sternensohn“), der den letzten jüdisch-messianischen Krieg 132-135 n. Chr. gegen die Römer anführte und den endgültigen Untergang des palästinischen Judentums besiegelte.

Darüberhinaus wird in manchen Handschriften der besagte Gefangene als „Jesus Barabbas“, also „Jesus, Sohn des Vaters“ bezeichnet. Er ist damit eine Art Doppelgänger Jesu, und so zeichnet sich hier die Alternative zwischen zwei messianischen Gestalten, zwei Formen des Messianismus ab: Auf der einen Seite der nationalistisch-kriegerische Messianismus der Zeloten und anderer bis hinein in den Kreis der Jesus-Jünger – ein solcher war wohl auch der Verräter Judas; auf der anderen Seite der strikt gewaltlose Messianismus Jesu, der nicht durch Töten fremden Lebens, sondern durch die Hingabe des eigenen Lebens Freiheit, Heil und Erlösung wirkt. So ist es kein Wunder, dass die Massen Barabbas den Vorzug gaben und mit Jesus auch dessen Heilsweg verwarfen.

Warum musste Jesus sterben? Die eigentlichen, tieferen Gründe: unser aller Erlösung von Sünde, Schuld und Tod, habe ich jetzt nicht schildern wollen, sondern allein die äußeren, gewissermaßen politischen Gründe, die zu seiner Verurteilung geführt haben. Und die sind: Weil sich sein Denken, Reden, Tun und Leben nicht einpassen wollte in die Vorstellungen der Menschen seiner Zeit.

Ob das heute anders wäre? Das darf mit Fug und Recht bezweifelt werden. Gott ist immer auch der Ganz-Andere gegenüber den menschlichen Plausibilitäten. Zu allen Zeiten fordert er Menschen heraus, sich auch gegen den Trend der Zeit an Ihm auszurichten. Diese Menschen gab es auch damals. Die Frage ist: Zu welcher Gruppe von Menschen gehöre ich?

Pfr. Bodo Windolf

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