Impuls für Radio Horeb vom 12. März 2008

St. Severin Garching

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Im Bild:
Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching
(bei der Firmung am 20.04.2007)

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Die Wahrheit macht euch frei"

Impuls in Radio Horeb
Mittwoch, 5. Fastenwoche, 12.03.08

zu Dan 3,14-95 und Joh 8,31-42

„Die Wahrheit macht euch frei“

„Die Wahrheit wird euch befreien“, so lautet einer der zentralen Sätze des heutigen Evangeliums. Entspricht das eigentlich unserer Erfahrung?, möchte man angesichts jüngster Beispiele aus der Politik fragen. Legt die politische Schmierenkomödie, die wir derzeit in Hessen erleben, nicht den Satz nahe: „Die Wahrheit, nein, sie befreit nicht, sondern  kostet einfach nur die Macht“? Dagmar Metzger, die in den neuen hessischen Landtag gewählte aufrechte Sozialdemokratin, die um der Wahrhaftigkeit und der Glaubwürdigkeit willen nicht bereit ist, den Bruch des Wahlversprechens mitzutragen, steht da als Verräterin ihrer eigenen Partei und ihrer Vorsitzenden. Ihr Verrat – das so eigensinnige Festhalten an Wahrheit und Wahrhaftigkeit als Grundprinzipien der Demokratie, die auch um der Macht willen nicht verraten werden dürfen. Wie wohltuend, angesichts der allgemeinen und oft auch zu pauschalen Politikerschelte eine Frau, eine Politikerin zu erleben, die sich ihr verfassungsrechtlich verbrieftes Recht auf Gewissensfreiheit weder durch Fraktionszwang noch durch Machtversessenheit korrumpieren lässt!

Ein weiteres Beispiel für die Macht der Lüge und der Unwahrheit in unserer Zeit. Der Schriftsteller und Unternehmer Ernst-Wilhelm Händler hat in seinem 2002 erschienenen Roman „Wenn wir sterben“ folgende provozierenden Fragen gestellt: „Was ist der Mensch? Ein Haufen Fleisch in Geld eingewickelt?“ Ich erinnere mich an ein Gespräch mit einem jungen Mann, den ich auf die Taufe vorbereitete und der mir sagte: „Man kann heute in seinem Betrieb oder wo immer man arbeitet nicht ehrlich sein. Man wird gezwungen, von Vorgesetzten, von der jeweiligen Situation, die Unwahrheit zu sagen.“

Der Mensch, ein Haufen Fleisch in Geld eingewickelt? Mit anderen Worten: Korrumpiert und andere korrumpierend durch die Macht des Geldes, des wirtschaftlichen Erfolges, vielleicht auch einfach nur aufgrund der Angst um den Arbeitsplatz und die eigene Existenz? Ich persönlich kann und will, gerade was den letzteren Gesichtspunkt betrifft, nicht den moralischen Stab über Menschen brechen, die aus Angst eben um Arbeitsplatz und Existenz meinen, zu Mitteln der Unwahrheit greifen zu müssen. Dennoch gilt um so mehr all jenen mein Respekt und meine Bewunderung, die sich solchen realen oder auch angeblichen Zwängen nicht beugen, sondern im Kleinen wie im Großen den Weg der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit gehen.

Dies gilt auch für andere Bereiche, in denen Unzählige sich mit Mitteln der Unlauterkeit, der Lüge und des Betruges bereichern. Da sind nicht nur die Zumwinkels und andere, die dies im großen Stile tun, sondern auch die zahllosen „kleinen Zumwinkels“ in unserem Land. Versicherungsbetrug, das Mitgehenlassen von Dingen auf Kosten des Betriebes, in dem man arbeitet und viele andere Weisen der unehrlichen Bereicherung sind fast zu einem Volkssport geworden, der viele kaum mehr in ihrem Gewissen belastet, weil es ja angeblich alle machen.

Das Thema, dass Wahrheit etwas kostet, nicht nur bisweilen die Macht, nicht nur bisweilen das große oder kleine Geld, sondern manchmal auch das Leben, greift die heutige Lesung aus dem Buch Daniel auf. Die drei in Babylon gefangenen Juden Schadrach, Meschach und Abed-Nego sollen unter Androhung des Verlustes ihres Lebens gezwungen werden, das goldene Standbild des Königs anzubeten. Ihre großartige Antwort lautet: „Wenn überhaupt jemand, so kann nur unser Gott, den wir verehren, uns erretten; auch aus dem glühenden Feuerofen und aus deiner Hand, König, kann er uns retten. Tut er es aber nicht, so sollst du, König, wissen: Auch dann verehren wir deine Götter nicht und beten das goldene Standbild nicht an, das du errichtet hast“ (Dan 3,17-18).

Die Wahrheit – ja, sie kann das Leben kosten. Und doch: welch großartiges Beispiel für den Satz: Die Wahrheit wird euch frei machen. Die drei Jünglinge, die gefesselt in den Feuerofen geworfen werden und über die der König sagt: „Ich sehe sie frei im Feuer umhergehen“ – sie sind nicht nur frei durch die wunderbare Errettung, die Gott ihnen durch einen Engel zuteil werden lässt. Sie sind frei in einem viel tieferen Sinn des Wortes, was dann eben auch seinen Ausdruck findet in dem, was der König hier erlebt. Sie sind frei gegenüber der Anmaßung eines Herrschers und Potentaten, der sie zwingen will, ihrem Gott und damit ihrer Überzeugung, ihrem Gewissen, sich selbst untreu zu werden; der sie zwingen will, aus dem Haus ihrer selbst auszuziehen in das Haus eines ihnen fremden Willens.

Genau das drückt Jesus aus, wenn Er im heutigen Evangelium fortfährt: „Wer die Sünde tut, ist Sklave der Sünde. Der Sklave aber bleibt nicht immer im Haus; nur der Sohn bleibt für immer im Haus. Wenn euch also der Sohn befreit, dann seid ihr wirklich frei.“ Im Haus bleiben – welch schönes Bild dafür, bei sich selbst zu bleiben; sich selbst treu zu bleiben; sich nicht von sich selbst zu entfremden; nicht Sklave der Gier, Sklave der Gier nach Macht, der Gier nach Geld, der Gier nach Leben um den Preis der Selbstentfremdung zu werden. Wer sich selbst zum Sklaven all dieser Dinge macht, wird zum Sklaven, weil er sich den korrumpierenden Gesetzmäßigkeiten anderer Mächte unterwirft. Der aber, der sich allein Gott unterwirft, der Wahrheit und der Wahrhaftigkeit, der allein ist wahrhaft zu Hause: zu Hause bei Gott, zu Hause bei sich selbst.

Ein Beispiel solcher Freiheit wird uns die baldige Feier der Passion Jesu einmal mehr vor Augen stellen. Als Gefangener steht Jesus vor Pilatus, dem Vertreter der politischen Macht. Doch welche Hoheit innerer Freiheit begegnet uns in Ihm ganz im Gegensatz zum römischen Statthalter. Hier der, der von sich selbst sagt und es beglaubigt, indem Er es sich Sein Leben kosten lässt: „Dazu bin ich geboren und in die Welt gekommen, dass ich für die Wahrheit Zeugnis ablege.“ Dort ein Feigling und Zyniker der Macht, der spöttisch fragt: „Was ist Wahrheit?“, und so gegen seine Überzeugung zur Marionette des Geschreis der Masse wird, die den Tod Jesu fordert.

Die Wahrheit befreit, die Lüge versklavt – wer sich darauf einlässt, wird die Wahrheit und die befreiende Kraft dieses Satzes immer wieder erfahren. Um nur noch ein weiteres Beispiel zu nennen: Wie frei macht es, die innere Kraft zu finden, Fehler, Versagen, Schuld zugeben zu können, einem Mitmenschen oder auch Gott gegenüber, anstatt sich heraus- und herumzuwinden aus einer falschen Furcht, das Gesicht zu verlieren; wer Fehler zugeben und sich entschuldigen kann, findet eine innere Freiheit und Souveränität, die nur der erringt, der in der Wahrheit auch sich selbst gegenüber bleibt.

An Ostern feiern Juden die Befreiung des eigenen Volkes aus der Knechtschaft Ägyptens. Wir Christen feiern an Ostern eine noch umfassendere Befreiung, für die die Befreiung aus der äußeren Knechtschaft des Pharao nur ein Bild ist. Die wahre und vollkommene Befreiung ist die Befreiung von der Sklaverei der Sünde, von der Sklaverei der Gier, der Süchte, der Lüge und so vieler andere Dinge aus der Kraft und in der Kraft der Wahrheit, die Christus selbst ist. „Ich bin der Weg und die Wahrheit und das Leben.“ Die Wahrheit, die Er ist, ist zugleich der Weg in die Freiheit und ins Leben.

Pfr. Bodo Windolf

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