Impuls für Radio Horeb vom 24. September 2008

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

"Krankheit zum Tode

Impuls in Radio Horeb
Radio-Impuls am 24.9.08, 25. Woche i. J.

Krankheit zum Tode 

„In jener Zeit rief Jesus die Zwölf zu sich und gab ihnen Kraft und die Vollmacht, alle Dämonen auszutreiben und die Kranken gesund zu machen. Und er sandte sie aus mit dem Auftrag, das Reich Gottes zu verkünden und zu heilen.“ 

Mit diesen Worten aus dem Evangelium des heutigen Tages überträgt Jesus seine eigene Vollmacht auf seine Jünger und sendet sie so zu den Menschen. Und es gelingt. Der Evangelist Lukas fasst das Ergebnis der Aussendung folgendermaßen zusammen: „Die Zwölf machten sich auf den Weg und wanderten von Dorf zu Dorf. Sie verkündeten das Evangelium und heilten überall die Kranken.“ 

Fast zwangsläufig führt dies zu der Frage: Was ist davon eigentlich übrig geblieben bei denen, die heute Jesu Jünger sind, wie sie in Vollmacht ausgesandt, das Evangelium vom Reich Gottes zu verkünden und Heilung zu schenken? Wenn wir an Heilung denken, dann ja in erster Linie an körperliche Heilungen. Wo sind sie, die Priester und Bischöfe, die wirken, was hier von den Aposteln berichtet wird? Denn auch wenn im Bereich der charismatischen Erneuerung die Gabe der Heilung, gerade auch der körperlichen Heilung, neu entdeckt worden ist, so ist sie doch weder dort noch bei den Genannten die Regel. Gilt nicht mehr, was damals der Auftrag Jesu an die Zwölf war? War das nur damals und heute nicht mehr? 

Wenn das Evangelium auch für unsere Zeit Gültigkeit haben soll, müssen wir wohl den Be-griff Krankheit weiter fassen. Dabei können wir uns auf Jesus selbst berufen. Denn auch Ihm – der es ja immer wieder zurückwies, als sensationeller Wunderheiler angesehen zu werden – ging es ja nicht einfach nur um die Heilung des Leibes, sondern immer um die des ganzen Menschen. Die körperliche Heilung war stets nur das äußere Zeichen einer Heilung, die tiefer ging und den Menschen auch in seiner Seele, in seinem Verhältnis zu Gott, zum Mitmenschen und nicht zuletzt zu sich selbst erfassen sollte.

Was ist daher die eigentliche Krankheit des Menschen, die zu heilen, durchaus bis in den körperlichen Bereich hinein, Jesus die sendet, die Er damit beauftragt? 

Ich will an dieser Stelle auf einen Philosophen des vorletzten Jahrhunderts zurückgreifen, den diese Frage sein ganzes Leben lang beschäftigt hat. 1849 erschien von Sören Kierkegaard, dem großen dänischen Philosophen des sog. Existentialismus, das Werk „Die Krankheit zum Tode“. Darin stellt er die Frage, wie der Mensch, der ausgestreckt ist zwischen dem Endlichen und Unendlichen, zwischen dem Nichts, aus dem er kommt, und dem unendlich Großen, nach dem er strebt, in das rechte Verhältnis zu sich selbst zu kommen vermag. Diesbezüglich nennt er zwei Formen der Verzweiflung, die des Menschen eigentliche Krankheit ausmachen; denn sie drohen, den Menschen zu einer letzten Verfehlung seiner selbst und damit zum Tod, zum Tod der Seele, zum ewigen Tod zu verdammen.  

Die eine Verzweiflung nennt er: Verzweifelt nicht man selbst sein zu wollen, die andere: Verzweifelt man selbst sein zu wollen. Letztlich sind beide Formen nur die zwei Seiten ein und derselben Medaille. Was ist damit gemeint? Ich will nun nicht den philosophischen Analysen Kierkegaards folgen, sondern versuchen, mit eigenen Worten diese Diagnose einer grundsätzlichen Krankheit in uns Menschen zu deuten.  

Guardini hat einmal die grundlegende Aufgabe des Menschen, eines jeden Menschen, so formuliert: „Ich soll sein wollen, der ich bin; wirklich ich sein wollen, und nur ich“ (Die Annahme seiner selbst, 15). Was aber geschieht tatsächlich? In vielen Menschen gibt es die Auflehnung dagegen, ganz ich selbst sein zu sollen. Es gibt ein Weglaufen vor der eigenen Wahrheit.

Diese Auflehnung, dieses Weglaufen kann, bewusst oder unbewusst, vielfältige Formen annehmen. Eine davon ist ein ständiges Sich-Vergleichen mit anderen. Warum habe ich nur diese oder jene Begabung, nicht aber die meines Gegenüber? Warum sehe ich so aus, wie ich aussehe, und nicht anderes, schöner, größer, so wie dieser oder jene? Warum bin ich nicht klüger, erfolgreicher, warum nicht so beliebt wie andere? Warum immer wieder dasselbe Versagen, dieselben Fehler, dieselbe Grenze, an die ich stoße und über die ich nicht hinweggelange?

Eine andere Form kann das Weglaufen auch vor der eigenen Schuld sein. Das Verdrängen der Schuld, die Unfähigkeit, sie vor mir selbst geschweige denn vor anderen oder gar vor Gott einzugestehen. Ich will nicht ich selber sein gerade auch in dem, worin ich Böses tue, falschen Gewohnheiten verfallen bin, mich dem Guten verweigere. Hier kann das „Verzweifelt nicht man selbst sein wollen“ die Form annehmen: Ich bin doch, so wie ich bin, schon ganz o.k. Nein, ich bin es eben nicht. Auch und gerade das anzuerkennen gehört zu den wichtigsten weisen, nicht vor sich selbst wegzulaufen.

Eine letzte Form des „Verzweifelt nicht man selbst sein Wollens“, die ich nennen möchte, ist das erbitterte Hadern mit dem eigenen Schicksal, also wie nun einmal das Leben mit mir spielt, mit mir gespielt hat und mich mit diesem und jenem heimsucht. So sehr es manchmal ein Kampf und vielleicht auch ein langer Kampf ist, einen Schicksalsschlag, ein Missgeschick, eine verpasste Chance oder überhaupt den Verlauf des eigenen Lebens anzunehmen – nur im Erlernen der Annahme von all dem liegt die Chance der Heilung, der Heilung von Bitterkeit, Zorn, Hass, Verzweiflung, Resignation, Frustration, unter Umständen auch Depression.  

An dieser Stelle nun kann das „Verzweifelt nicht man selbst sein Wollen“ sehr schnell umschlagen in ein „Verzweifelt man selbst sein Wollen“. Ich will nicht der sein, als der ich mir gegeben bin, sondern ich will der sein, den ich, und zwar ich allein, aus mir mache. Mit anderen Worten: Ich will autonom sein, mein eigener Herr, selbst verfügen, was gut und böse ist, was ich aus mir und meinem Leben mache, ob ich lebe oder sterbe – etwa bei unheilbarer Krankheit – ich will niemanden, vor allem auch Gott nicht, hineinreden lassen in mein Leben. Ich will nicht jemand sein, der restlos verdankt ist und daher auch dem zu danken hat, der mich mir gegeben hat, nämlich letztlich Gott. Ich will daher ich selbst sein allein nach meinem persönlichen Gutdünken, in der Anmaßung der Kreatur, die sich vom Geschöpf zum Schöpfer der Moral, des Menschen und seiner selbst aufschwingt.  

Auf diese Weise führt die „Krankheit zum Tode“ unweigerlich zu einer „Kultur des Todes“, wie Papst Johannes Paul II. sie genannt hat. Abtreibung, Spätabtreibung, Euthanasie, die Unterwerfung von allem und jedem unter die Gesetze des Marktes sind Ausgeburten dieses ständigen gegenseitigen Umschlagens von „verzweifelt nicht man selbst“ und „verzweifelt nur man selbst sein Wollens“.  

Heilung von dieser „Krankheit zum Tode“, die so viele Menschen unserer Zeit erfasst hat, gibt es letztlich nur aus dem Evangelium, d.h. aus der Bereitschaft, mich dem Reich Gottes, und das bedeutet auch: mich der Herrschaft Gottes zu öffnen. Wo ein Mensch Gott den Herrn seines Lebens sein lässt, wo ich anfange, Gott den Herrn meines Lebens sein zu lassen, da kann ich mich endlich annehmen, wie ich bin, da ich mich gerade so gewollt, bejaht und geliebt wissen darf. Denn Gott hat ja in mir nicht jemand anderen, sondern eben mich gewollt. Ich kann meine Schuld und mein Versagen ohne die Notwendigkeit von Verdrängung und Leugnung anschauen, annehmen, zugeben, bekennen, da ich in Gott dem unendlich Barmherzigen begegne, der mich heilen will von dieser Schuld gerade auch durch die, die Er dazu beauftragt hat im Sakrament der Versöhnung. Ich kann mein Schicksal, mein Leben auch mit den verpassten Chancen, dem verpassten Glück, den nicht gewährten Wünschen und Sehnsüchten annehmen, da ich weiß, dass in Gott alles einen Sinn hat und Er aus allem Gutes und Segensreiches erwachsen lassen kann.  

In diesem Sinn will Jesus Christus auch heute Heilung schenken, nicht zuletzt durch die, die Er aussendet, das Evangelium vom Reich und der Herrschaft Gottes zu verkünden, zu heilen und so einer „Kultur des Lebens“ zu dienen. Ihnen und uns allen wünsche ich Heilung, wo wir, wo ein jeder von uns der Heilung bedarf, und dazu segne Sie …

Pfr. Bodo Windolf

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