Impuls für Radio Horeb vom 28.01.2009

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

Impuls in Radio Horeb  28.01.2009

Glaube und Vernunft am Fest des hl. Thomas v. A.

Heute, am Fest des hl. Thomas von Aquin, des wohl größten Philosophen und Theologen des Mittelalters, bitte ich um Ihr Verständnis, und wenn nötig um Ihre Nachsicht, wenn ich versuchen will, mit Ihnen ein wenig Philosophie zu betreiben. Natürlich will ich mir Mühe geben, dies auch verständlich zu tun. Sie werden am Ende prüfen können, ob mir dies gelungen ist.

Das große Thema unseres derzeitigen Papstes ist ohne Zweifel die gegenseitige Durchdringung und Erhellung von Glaube und Vernunft. Zu großen Teilen dient sein Predigen und Schreiben dem Erweis, dass beide nicht nur nicht gegeneinander stehen, sondern im Gegenteil aufeinander verwiesen sind. Glaube ohne Vernunft droht krank, fanatisch, fundamentalistisch zu werden, aber nicht minder auch Vernunft ohne Glaube.

Mit Fug und Recht kann man sagen, dass dieses Thema so alt ist wie das Christentum selbst. Schon die ersten Theologen in der nachapostolischen Zeit des 2. Jahrhunderts nach Christus haben ihren neugewonnenen Glauben an Jesus Christus, den menschgewordenen Logos, wie ihn der Evangelist Johannes mit einem der griechischen Philosophie entlehnten Wort nennt, ins Gespräch mit der hellenistischen Philosophie ihrer Zeit gebracht. Der hl. Justin, der um 165 den Märtyrertod erlitt, nannte den christlichen Glauben einmal die wahre Philosophie.

Nach der großen Zeit der Kirchenlehrer und dem Zusammenbruch des christlich gewordenen Römischen Reiches im Zuge der Völkerwanderung, setzte nun eine lange Zeit des Lernens ein, dem sich die jungen germanischen Barbarenvölker unterzogen, die das Erbe Roms antraten. Es sind die Klöster und die Schreibstuben der Mönche, die das Wissen der heidnischen und später christlichen Antike aufbewahrten und durch eine immense Fleißarbeit des Abschreibens antiker Werke an die kommenden Generationen und Zeiten weitergaben. Die Klöster sind in dieser Epoche der Hort der Bildung, des Lernens und Tradierens, ohne die unsere abendländische Zivilisation niemals entstanden wäre. 

Es wird bis ins 11. Jahrhundert hinein dauern, bis die Aneignung fremder Gedanken mehr und mehr übergeht in das eigenständige Weiterdenken dessen, was griechische Philosophie und christlicher Glaube überliefert haben. Einer der ersten ganz Großen in dieser Hinsicht ist der Benediktinermönch Anselm von Canterbury. Er ist ein Mann mit einem fast unbegrenzten Vertrauen in die Kraft der Vernunft und ihre Fähigkeit, die Geheimnisse des christlichen Glaubens zu erhellen. Zwei berühmt gewordene Wortprägungen gehen auf ihn zurück: 1. fides quaerens intellectum, was soviel meint wie die Suche des Glaubens nach einem inneren Verstehen des Geglaubten durch die eigene Vernunft; 2. credo ut intelligam, ich glaube, um einzusehen und zu verstehen; d.h. erst der Glaube erleuchtet unsere Vernunft so, dass sie sich dem rechten Verstehen von Gott, Welt und Mensch öffnet.

Anselm testet gleichsam die Reichweite der Vernunft in Sachen des Glaubens. Auf ausdrücklichen Wunsch seiner Mitbrüder sucht er die Existenz Gottes, das Geheimnis der Trinität, die Menschwerdung Gottes und andere Glaubensgeheimnisse nicht einfach aus der hl. Schrift zu begründen, sondern ganz ohne sie allein aus der Kraft der Vernunft. Anselm schreckt daher nicht davor zurück, von „rationes necessariae“, „notwendigen Vernunftgründen“ zu sprechen, mit anderen Worten: er traut der argumentierenden menschlichen Vernunft zu, die Heilsereignisse, die wir glauben, durch „zwingende Gründe“ einsichtig zu machen.

Nun ja, das Faszinierende, aber auch das Gefährliche solcher Gedankengänge liegt auf der Hand. Denn von hier aus ist es nur noch ein kleiner Schritt zu der Ansicht: Gott konnte gar nicht anders handeln, als Er in der Heilsgeschichte gehandelt hat. Denn da Er die höchste Vernunft ist, ist Er geradezu genötigt, auch das jeweils Vernünftigste zu tun. Und da wir als seine Ebenbilder teil haben an Gottes Vernunft, können wir mit ihren Gründen das göttliche Tun und Wirken als in sich notwendig durchschauen.

Freilich täten wir Anselm großes Unrecht, wenn wir ihm unterstellten, er habe eine solche Ansicht tatsächlich vertreten; wohl aber war dies bei anderen und kleineren Geistern der nach ihm kommenden Zeit der Fall. Besonders die Entdeckung neuer Schriften des Aristoteles führte im 13. Jahrhundert zu einer Strömung, die Theologen unserer Zeit als das „griechische Notwendigkeitsdenken“ bezeichnet haben. Diese „aristotelische  Gleichsetzung von Wirklichkeit, Einsichtigkeit und Notwendigkeit, nicht allein in den Dingen, sondern zuerst und vor allem in Gott“ führte nach Ansicht eines der besten Thomas-Kenners unserer Zeit, nämlich Josef Piepers, 1277 zu einem Ereignis, das eine geistesgeschichtliche Wende bedeutete, deren Folgen wir noch heute spüren. Der Pariser Bischof Tempier verurteilte am 7. März 1277 219 Sätze, die an der Pariser philosophischen Fakultät vertreten wurden. Einer der Hauptvertreter dieser Richtung war ein gewisser Siger von Brabant. Es war der Versuch, die Philosophie und die „weltlichen“ Wissenschaften gegenüber ihrem Übergriff auf die Theologie in die Schranken zu weisen, vor allem nämlich die erwähnte These, dass alles, was ist und auch das, was Gott tut, so sein muss, wie es ist und auch Gott diesem Müssen unterliegt. Was hier verteidigt wird, ist nichts weniger als die Freiheit Gottes; dass es nämlich nicht Notwendigkeit ist, die Ihn veranlasst, die Heilsgeschichte bis hin zu ihrem Höhepunkt der Menschwerdung Jesu zu wirken, sondern Seine freie, ungeschuldete Liebe

Nur am Rande sei vermerkt, dass unter den verurteilten Sätzen auch einige aus der Feder des hl. Thomas stammten, wobei schnell hinzuzufügen ist, dass der gute Bischof dem hl. Thomas damit großes Unrecht zufügte. Denn im Grunde war gerade er es, der dem überbordenden Vernunftoptimismus der Verurteilten gegenüber die wohl angemessenste Antwort gefunden hat. Thomas drückt es u.a. so aus: Das Geglaubte können wir durch zwingende Gründe zwar nicht beweisen, wohl aber zeigen, dass es nicht widervernünftig ist.“ Es ist gerade auch Thomas, der bei allem Bemühen, die Vernunftgemäßheit des Glaubens darzulegen, zugleich die Freiheit Gottes betont und der in seinen Schriften für einen kurzen Augenblick der Geistesgeschichte ein Gleichgewicht zwischen Vernunft und Glauben erlangt hat, das nach dem Urteil Josef Piepers in dieser Ausgewogenheit keinen langen Bestand hatte und wohl auch kaum je wieder erreicht wurde. 

Freiheit, wohlgemerkt die Freiheit Gottes ist das Stichwort der kommenden Zeit. Schon im darauffolgenden Jahrhundert wird das von Thomas erreichte Gleichgewicht vor allem bei Wilhelm von Ockham kippen zugunsten einer Vorstellung von der göttlichen Freiheit, die geradezu in Willkür umschlägt. Gott ist so unumschränkt und absolut frei in all Seinem Tun, dass das von Ihm gewirkte Heil und damit die Offenbarung Vernunftgründen letztlich gar nicht mehr zugänglich ist. Der Vernunft wird mehr und mehr ihr eigentliches Terrain allein in den ihr zugänglichen weltlichen Wissenschaften, sprich v.a. Naturwissenschaften zugewiesen. Was des Glaubens ist, bleibt ihr eigentlich unzugänglich und ist eher ein persönliches Meinen als ein vernunftgemäßes Denken. Unter dieser Entwicklung, die ich jetzt natürlich nur vereinfacht darstellen konnte und die sich in vielen weiteren kleinen Schritten vollzog, leiden wir bis heute. Die Wiederherstellung der Einheit von Glaube und Vernunft ist, wie eingangs erwähnt, eines der ganz großen Anliegen von Papst Benedikt. Er zeigt einen Glauben auf, der weiß, dass alles, aber auch alles Gnade ist, die aus der ungeschuldeten Freiheit der Liebe Gottes strömt, darin zugleich aber unsere menschliche Vernunft ganz zu sich selber bringt, sie erleuchtet, so dass wir, wie in einem Rückkopplungseffekt, mit ihrer Hilfe und ihrem Licht nun auch wieder den Glauben besser zu verstehen lernen. Um es mit den Worten des hl. Paulus zu sagen: damit wir fähig werden, „die Liebe Christi zu erkennen, die alle Erkenntnis (unendlich) übersteigt“ (Eph 3,19). 

Dass unser Papst mit diesem Anliegen viele Menschen unserer Zeit erreiche, darum wollen wir am heutigen Gedenktag auch den hl. Thomas bitten. Auf seine Fürsprache segne euch … 

Pfr. Bodo Windolf

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