Impuls für Radio Horeb vom 05.08.2009

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

Impuls in Radio Horeb  18. Woche i. J. am 5.8.2009

" Das Land, in dem Milch und Honig fließt" – Bild für unsere Hoffnung

Die Geschehnisse des AT`s, insbesondere die Wanderung des Gottesvolkes heraus aus dem Sklavenhaus Ägyptens hin zum Gelobten Land, sind mehr als nur uralte Begebenheiten aus einer Zeit, die mit der unseren eigentlich gar nichts mehr zu tun hat. Vielmehr verbergen sich dahinter Bilder für unseren eigenen Lebensweg, für die Pilgerschaft unseres irdischen Daseins. Über eines dieser Bilder möchte ich heute sprechen, oder besser über das, wofür dieses Bild steht. Ich will sprechen über das "Land, in dem Milch und Honig fließt", wovon in der Lesung des heutigen Tages die Rede ist, ein Bild für die Hoffnung, ohne die kein Mensch leben kann.

Hoffnung ist, so könnte man sagen, die kleine, manchmal ein wenig vernachlässigte Schwester der beiden anderen großen theologischen Tugenden Glaube und Liebe; die kleine Schwester, die aber etwas ganz Tiefes im Menschen berührt.

Denn "Hoffnung ist der Stoff, aus dem das menschliche Wesen gewebt ist", so hat es einmal ein Schriftsteller ausgedrückt. Wie wahr! Ohne Hoffnung kann kein Mensch leben. Wer für sich und seine Zukunft alle Hoffnung aufgegeben hat, steht in Gefahr, freiwillig aus dem Leben zu scheiden.

Wie sehr Hoffnung unser Lebenselexier, eine unserer wichtigsten Antriebskräfte ist, können wir uns vor Augen führen an einem alltäglichen Beispiel. Viele von uns lieben Romane oder Filme. Je mehr Kampf und Dramatik, Leiden und Leidenschaft, Angst und Verzweiflung in die Handlung verwoben sind, um so besser. Aber eins wünschen wir alle: dass alle unglücklichen Verwicklungen schließlich doch einmünden in ein Happy End. Mag es auch bisweilen kitschig sein – trotzdem wünschen wir uns in der Regel einen guten Ausgang; wir hoffen während der ganzen Handlung, dass am Ende "alles gut wird". Gute Filme faszinieren wohl auch deswegen so sehr, weil wir komprimiert auf ca. eineinhalb Stunden ganz intensiv gleichsam das Konzentrat dessen erleben, was eben der Stoff ist, aus dem wir gewebt sind: Hoffnung auf einen guten Ausgang der kleinen Dinge unseres Daseins, aber auch des Lebens insgesamt.

Es gibt sicher kein Volk der Menschheit, dessen gesamte Existenz so sehr auf Hoffnung hin angelegt war und ist wie das jüdische. "Das Land, in dem Milch und Honig fließt" ist, wie schon gesagt, die biblische Metapher dafür, dass sich das Gottesvolk immer wieder hoffend auf eine neue Zukunft hin ausgestreckt hat. Sehr deutlich sieht man das an der Struktur des Alten Testaments. Der Pentateuch, die ersten fünf Bücher Mose, beschreiben den Weg in das "Land, in dem Milch und Honig fließt", enden aber mit dem Tod des Mose, der vom Berg Nebo nur hinüberblicken darf ins Gelobte Land. Betreten darf er es genauso wenig wie die Wüstenwanderergeneration insgesamt. Das ist übrigens, wie wir in der heutigen Lesung vernehmen, die Strafe dafür, dass die Israeliten zu wenig Hoffnung und Vertrauen auf die Zukunft aufbrachten, die Gott ihnen bereiten wollte. Erst die nächsten biblischen Bücher berichten den Einzug und damit die Erfüllung der Verheißung.

Ebenso die Geschichtsbücher des Alten Testaments. Sie enden mit der Aussicht des im babylonischen Exil lebenden Gottesvolkes auf die Rückkehr in Heilige Land. Die Rückkehr selbst und der Wiederaufbau des Tempels und der Heiligen Stadt Jerusalem ist Thema weiterer Schriften der hebräischen Bibel.

Ein letztes Mal gilt das Gesagte für das Ende des Alten Testamentes insgesamt. Das Buch Maleachi prophezeit die Wiederkunft des Elija, der das Kommen des Messias ankündigen wird. Spätestens seitdem ist das Warten und Hoffen auf die Ankunft des Messias eine bis heute lebendige Konstante orthodox-jüdischer Religiosität.

Die ungeheure Dynamik dieser jüdischen Messiashoffnung wurde in der Neuzeit zur Initialzündung und Triebkraft einer der faszinierendsten und zugleich furchtbarsten Hoffnungsideologien des 19. und 20. Jahrhunderts. Der Kommunismus ist letztlich nichts anderes als eine säkularisierte Spielart des jüdischen Messianismus, in die natürlich auch christliche Erlösungshoffnung eingeflossen ist. An die Stelle Gottes tritt hier der Mensch, der Himmel sollte auf die Erde heruntergeholt, aus den "Kandidaten des Jenseits Studenten des Diesseits" (Feuerbach) werden. Mit anderen Worten: Man glaubte, Gott und die jüdisch-christliche Jenseitshoffnung auslöschen zu müssen, um für den Menschen und seine Diesseitshoffnung Platz schaffen zu können. So schreibt der jüdische sozialistische Philosoph Ernst Bloch in seinem bedeutendsten Werk "Prinzip Hoffnung": "Was an prophetischem Erbe im Judentum fortwirkt und es einzig wichtig macht, hat … Marx … gegenwärtig gemacht." (vgl. J.Pieper, Hoffnung und Geschichte, 89) Und im selben Werk schreibt er das berühmt gewordene Wort: "Ubi Lenin, ibi Jerusalem!" Frei übersetzt: Wo der Marxismus politische Realität geworden ist, da ist das neue, messianische, menschheitsbefreiende Jerusalem nicht im Jenseits, sondern auf Erden verwirklicht.

Wie kommt es eigentlich, dass diese atheistische "Religion des Diesseits" so grandios gescheitert ist? Ich möchte nicht die desaströse Wirtschaft der sozialistischen Staaten nennen, auch nicht die Ertränkung dieser Hoffnung in einem Meer aus Gewalt, Unfreiheit, Staatsterror, Spitzelei und menschlichem Blut, sondern einen anderen, leicht übersehbaren Punkt. Diese und alle anderen reinen Diesseitsideologien – dazu zählt auch der Materialismus, Konsumismus und Hedonismus unseres kapitalistischen Westens – haben keine Antwort auf eine der Grundfragen des Menschen, nämlich auf die Frage nach dem Tod. Vom Tod, diesem lästigen Zerstörer aller Diesseitshoffnung, ist daher auch kaum die Rede, er wird ausgeklammert wie etwas, das vielleicht andere, aber jedenfalls mich nichts angeht.

Aber da, wo die Frage nach dem Tod keine Antwort findet, kann es letztlich keine wirkliche und tragende Hoffnung geben. Die größten Vordenker des Sozialismus wie z.B. Max Horkheimer haben dies erkannt. Kurz vor seinem Tod sagte er in einem Interview mit einem Journalisten auf dessen Frage, ob es Gott gebe, dass er fürchte, es gebe ihn nicht. Auf die weitere Frage, warum er es fürchte, zog er die Konsequenz: "Der Gedanke, dass die Gebete der Verfolgten in höchster Not, dass die der Unschuldigen, die ohne Aufklärung ihrer Sache sterben müssen …, und dass die Nacht, die kein menschliches Licht erhellt, auch von keinem göttlichen durchdrungen wird, ist ungeheuerlich." Und sinngemäß weiter: Wenn es keinen Gott gibt, dann gibt es auch keine Gerechtigkeit für die Opfer und die Täter. Mit anderen Worten: Was soll man den Leidenden dieser Welt, was den Opfern, all jenen, die in Auschwitz und den Archipels Gulags umgekommen sind, Tröstendes sagen? Innerhalb dieser Welt gibt es nur vorübergehende Tröstungen, keine wirklich tiefgreifende Antwort auf die Tragiken und Absurditäten des Lebens. Aber es gibt die Verheißung der neuen Welt, in der Gerechtigkeit wohnt und die Verheißung, dass Jesus Christus, den Gott von den Toten auferweckt hat, Richter über Lebende und Tote sein wird und gerecht richten wird und zuletzt alle Tränen trocknen wird. Der Schweizer Dichter Kurt Marti hat einmal geschrieben: "Das könnte manchen Herren so passen, wenn mit dem Tode alles beglichen... [und] für immer bestätigt wäre", dass es keine Auferstehung der Toten gibt. Nee, nee, es kommt nochmal alles zur Sprache. So einfach ist es nicht.

Erst die Hoffnung macht unser Leben lebenswert, nicht irgendeine Hoffnung, sondern die große Hoffnung, die, die den Tod überwindet, die stärker ist als der Tod; nicht aus eigener Kraft, sondern weil es Gott gibt, nämlich Den, der unsere Hoffnung nicht ins Leere gehen lässt, der uns in jenes ewige Land führt, für das das irdische "Land, in dem Milch und Honig fließen", nur ein Bild ist; in jenes Land des ewigen Lebens, in dem Gott alles in allem sein wird, in dem es den Tod nicht mehr gibt, keine Mühsal und Drangsal, in dem Gott alle unsere Tränen trocknen wird.

Dass Sie diese große Hoffnung nie aus den Augen verlieren und aus ihr Hoffnung und Zuversicht schöpfen für die kleinen und großen Dinge unseres irdischen Daseins, das wünsche ich Ihnen von Herzen und dazu segne Sie der Dreieinige Gott, …

Pfr. Bodo Windolf

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