Impuls für Radio Horeb vom 16.09.2009

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

Impuls in Radio Horeb   24. Woche i. J. am 16.09.2009

"Kirche als Säule der Wahrheit"

"Du sollst wissen, wie man sich im Hauswesen Gottes verhalten muss, das heißt in der Kirche des lebendigen Gottes, die die Säule und das Fundament der Wahrheit ist." Diese Worte schreibt Paulus an seinen Schüler Timotheus, wie wir in der heutigen Lesung hören.

Die Kirche als "Säule und Fundament der Wahrheit", jene Kirche, deren Vergangenheit von so vielen schlimmen Dingen und auch manchen Verirrungen geprägt ist? Die immer wieder bemühten Schlagworte sind allgemein bekannt: Kreuzzüge, Hexenverbrennungen, Inquisition. Auch wenn diese Schlagworte meist sehr undifferenziert, in der Regel ohne genaue geschichtliche Kenntnisse und oft mit einer gehörigen Portion Selbstgerechtigkeit vorgebracht werden, so ist doch nicht zu leugnen, dass im Namen der Kirche so manches Unrecht verübt wurde, das wir bis heute als schwere Hypothek mitschleppen und mit ein Grund dafür ist, dass die Kirche vor allem in unserem Land kein sehr hohes Ansehen genießt. So mancher ist durchaus fasziniert von der Gestalt Jesu, aber die Kirche? Jesus ja, Kirche nein ist eine nach wie vor sehr verbreitete Einstellung.

Die Frage ist nun aber: Ist Jesus, und zwar der wahre Jesus und nicht irgendeine Phantasiegestalt von Jesus ohne die Kirche überhaupt zu erlangen? Gelangen wir zu Gott, und zwar wiederum zum wahren Gott anstelle eines selbstkonstruierten ohne die Kirche? Auch Paulus hatte mit Missständen in der Kirche und den Gemeinden zu kämpfen, aber dennoch nennt er sie "Säule und Fundament der Wahrheit".

Ich möchte dazu einen Text von Romano Guardini anführen, der seinem Buch Berichte über mein Leben entnommen ist, das er in den Jahren des 2. Weltkriegs verfasste. Er berichtet darin folgendes.

Mit 20 Jahren hatte er den Glauben verloren, er war ihm zerronnen, wie er schreibt; er merkte auf einmal, dass er keinen mehr hatte. Diese bestürzende Entdeckung löste wohl das aus, was seinem Leben die entscheidende Wende gab. Ich möchte an dieser Stelle ihn selbst zu Wort kommen lassen: "Es war in meinem Dachkämmerchen im elterlichen Haus in der Gonsenheimer Straße. Karl Neundörfer und ich hatten über die Fragen, die uns beschäftigten, gesprochen, und mein letztes Wort hatte gelautet: ,Es wird wohl auf den Satz hinauskommen: Wer seine Seele festhält, wird sie verlieren; wer sie aber hergibt, wird sie gewinnen. (…) Es war mir allmählich klar geworden, dass ein Gesetz bestehe, wonach der Mensch, wenn er ‚seine Seele behält’, das heißt, in sich selber bleibt und als gültig nur annimmt, was ihm unmittelbar einleuchtet, das Eigentliche verliert. Will er zur Wahrheit und in der Wahrheit zum wahren Selbst gelangen, dann rnuss er sich hergeben. (. .. )

Ich saß vor meinem Tisch, und der Gedanke ging weiter: ,Meine Seele hergeben – aber an wen? Wer ist im Stande, sie mir abzufordern? So abzufordern, dass darin nicht doch wieder ich es bin, der sie in die Hand nimmt? Nicht einfachhin ‚Gott’, denn wenn der Mensch es nur mit Gott zu tun haben will, dann sagt er ,Gott’ und meint sich selbst. Es rnuss also eine objektive Instanz sein, die meine Antwort aus jeglichem Schlupfwinkel der Selbstbehauptung herausziehen kann. Das aber ist nur eine einzige: die katholische Kirche in ihrer Autorität und Präzision. Die Frage des Behaltens oder Hergebens der Seele entscheidet sich letztlich nicht vor Gott, sondern vor der Kirche.’ Da war mir zu Mute, als ob ich alles – wirklich ,alles’, mein Dasein – in meinen Händen trüge, wie in einer Waage, die im Gleichgewicht stand. Ich kann sie nach rechts sinken lassen, oder nach links. Ich kann meine Seele hergeben, oder sie behalten.’ Und da habe ich denn die Waage nach rechts sinken lassen. Der Augenblick war ganz still. Da war weder eine Erschütterung, noch eine Erleuchtung, noch irgendein Erlebnis. Es war die ganz klare Einsicht: ‚so ist es – und die unmerklich leise Bewegung: ‚so soll es sein!’"

Welch erstaunliche und herausfordernde Auskunft aus der Feder dieses großen Ringers um den Glauben in moderner Zeit. "Die Frage des Hergebens der Seele entscheidet sich letztlich nicht vor Gott, sondern vor der Kirche." Wie kann man so etwas behaupten?

Der Grund ist folgender: Guardini weiß genau, wie oft Menschen, gerade auch religiöse – ich darf etwas salopp formulieren – ihren eigenen "Vogel" für den Heiligen Geist halten; sich an der Kirche vorbei ihren eigenen Glauben fabrizieren, und dabei nicht bei Gott, sondern nur wieder bei sich selbst landen; d.h. die eigenen Wünsche und Gedanken zum letzten Maß ihres Lebens machen, indem sie sie in Gott hineinprojezieren. Gott wird zu einem Konstrukt persönlicher Vorlieben und Leidenschaften, ein Wesen, das man sich so bastelt, dass es kompatibel ist mit dem eigenen Leben, jedenfalls ein Gott, der mit dem Gott, wie Er uns in Jesus Christus begegnet und sich uns in der hl. Schrift bezeugt, oft nicht mehr viel zu tun hat.

Freilich könnte man an dieser Stelle einwenden: Ja, aber dann genügt uns doch die Bibel, wozu brauchen wir da noch die Kirche. Im Prinzip gilt hier dasselbe, was wir aus der Feder Guardinis gehört haben. Es war ein Irrtum Martin Luthers, dass die Bibel sich selbst auslegt. Wenn man will, kann man fast alles aus der Bibel heraus- bzw. in sie hineinlesen. Hier ein Wort, dort ein Satz, herausgerissen aus dem Gesamtkontext der hl. Schrift – und schon missbrauche ich sie zur Bestätigung ganz privater Thesen und Meinungen.

Auch die Bibel ist ein Buch der Kirche, und ein Christ liest sie nur dann richtig in der unerschöpflichen Fülle der ganzen Wahrheit, wenn er sie nicht gegen, sondern mit der Kirche liest und versteht. Die einzige Möglichkeit, sich unter und nicht über das Wort Gottes zu stellen, wie dies eigentlich auch Martin Luther wollte, die einzige Möglichkeit, die Bibel nicht willkürlichen Interpretationen und damit wiederum persönlichen Vorlieben auszuliefern, ist einmal mehr, sie im Glauben der Kirche zu lesen und zu verstehen. Insofern gehören Bibel und Kirche untrennbar zusammen. Gott ja, Kirche nein, Jesus ja, Kirche nein, Bibel ja, Kirche nein – all das stellt einen inneren Widerspruch dar und birgt die Gefahr, immer nur wieder mich selbst und meine Gottesprojektionen zu bedienen und darin mir selbst zu begegnen anstelle des wahren und wahrhaftigen Gottes, der sich uns in Jesus Christus gezeigt und offenbart hat und sich uns durch die Kirche bezeugt.

Guardini fand in der "Autorität und Präzision der katholischen Kirche" jene objektive Instanz, die ihn aus sich selbst herauszieht und tatsächlich vor Gott, vor den wahren Gott als den Herrn seines Lebens bringt. Diese Auskunft stammt von einem der ganz großen Denker und Theologen des vergangenen Jahrhunderts. In ihr spiegelt sich eine Demut wieder, die allein mit ganz Großem beschenkt zu werden vermag.

Dass wir alle bei aller Kritik, die wir an der Kirche üben – manchmal zu Recht, manchmal wohl auch zu Unrecht – dieses Grundvertrauen in sie nicht verlieren, dass sie uns durch ihren Glauben und durch ihre Sakramente zur Begegnung mit dem wahren und lebendigen Gott führt, wünsche ich uns allen.

Pfr. Bodo Windolf

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