Impuls für Radio Horeb vom 01.12.2010

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

Impuls in Radio Horeb am 1. Dezember 2010

Umgang mit Trauer

„An jenem Tag wird der Herr der Heere … für alle Völker ein Festmahl geben … Er zerreißt die Hülle, die alle Nationen verhüllt, und die decke, die alle Völker bedeckt. Er beseitigt den Tod für immer. Gott, der Herr, wischt die Tränen ab von jedem Gesicht.“ Welch unglaublich schöne Verheißung, die wir in der heutigen Lesung aus dem Buch Jesaja hören, eine Verheißung auf etwas Kommendes, das Gott schenken wird. Diese Hoffnung gebenden Verse möchte ich zum Anlass nehmen, über ein Thema nachzudenken, das uns alle beschäftigt, nämlich die Frage nach Trauer und Leid in unserem Leben und wie umgehen damit.

Es gibt keinen Menschen, der nicht die Sehnsucht in sich trägt: Ich will glücklich sein, oder, wenn er es nicht ist: ich will glücklich werden. Nicht irgendwann einmal, sondern schon hier und jetzt in diesem meinem Leben. Die Sehnsucht nach Glück, nach Freude, nach innerer Erfüllung ist eine der Haupttriebfedern unseres Handelns. Selbst bei dem, dessen Leben geprägt ist von einer ständigen Jagd nach Spaß, Zerstreuung und dem immer neuen Kick ist dies Ausdruck eben dieser Sehnsucht.

Obwohl die Hoffnung auf Freude so tief verankert ist in unserem menschlichen Wesen – als Gläubige sagen wir: obwohl Gott selbst als unser Schöpfer diese Sehnsucht in uns hineingelegt hat – leben wir in einer Welt, in der es das vollkommene Glück nicht gibt. Ja, noch mehr und im Gegenteil: Wir leben in einer Welt mit einem Übermaß an Unglück, Trauer, Tränen, Leid und Schmerz. Der zitierte Abschnitt aus dem Buch Jesaja verheißt zwar die Überwindung all dessen, setzt aber darin eine Welt voraus, in der schmerzvolle Erfahrungen und Trauer unvermeidlich sind.

Ich will jetzt nicht darüber spekulieren, warum es so ist; warum Gott Unglück und Leid zulässt, warum er nicht von vorneherein eine Welt erschaffen hat, in der es einfach keine negativen Erfahrungen gibt. Stattdessen will ich fragen, wie es möglich ist, in dieser konkreten Welt, die so ist, wie sie ist, Glück und Freude zu finden; und zwar nicht nur als Vertröstung auf ein kommendes Jenseits, sondern als etwas hier und jetzt schon Mögliches.

Eine der tiefsten Antworten finden wir wohl in den acht Seligpreisungen, die Jesus seiner Bergpredigt voranstellt. „Selig, die arm sind vor Gott …, selig die Sanftmütigen …, selig die Trauernden …, selig die nach Gerechtigkeit Hungernden …, selig (sogar) die um dieser Gerechtigkeit und um seinetwillen Verfolgten …“ (vgl. Mt 5,1ff) All diesen Menschen verheißt Jesus nicht nur Glück in einer fernen, jenseitigen Zukunft, sondern spricht ihnen schon hier und jetzt die Seligkeit zu. Was kann damit gemeint sein?

Zunächst einmal sind die Seligpreisungen so etwas wie eine innere Biographie Jesu selbst. Er, dessen Geburtsfest wir in diesen adventlichen Tagen erwarten, wurde Mensch, um in all diese menschlichen Erfahrungen einzutauchen, sie zu erleben wie wir, und sie so zu einer göttlichen Erfahrung zu machen. Er, von dem es im heutigen Evangelium heißt, dass er Mitleid mit den Menschen hatte, ist nicht bei bloßem Mitleid stehen geblieben, sondern er ist für uns alle zu einem Mit-Leidenden geworden. All seine Worte sind daher nicht nur Worte geblieben, sondern gedeckt durch seine eigene Existenz. Und so will er in den Seligpreisungen sagen: Der Weg zum wahren Glück geht nicht an den negativen Erfahrungen unseres Lebens vorbei. Jesus hält sich nicht bei der Frage auf, welche andere Welt vielleicht wünschenswert ist; vielmehr schaut er auf unser Leben, so wie es ist, und weist uns einen Weg, wie wir dennoch glücklich werden können. Wenn man will, könnte man die Seligpreisungen als einen achtfacher Pfad zum Glück bezeichnen.

Zwei falsche Wege sind damit von vorneherein ausgeschlossen. Die erste Gefahr ist, da wo einen Menschen ein schweres Unglück trifft – eine Krankheit, der Verlust eines lieben Menschen oder anderes – in Trauer zu versinken, in Selbstmitleid, sich darin zu verschließen, sich in der Trauer einzumauern.

Die andere Gefahr ist, sich der Trauer erst gar nicht auszusetzen, sie nicht an sich heranzulassen, sondern in die reine Zerstreuung zu fliehen, sei es durch ein Übermaß an Arbeit, sei es durch alle möglichen oberflächlichen Vergnügungen.

Trauer muss zugelassen werden, denn wer Verlusterfahrungen seines Lebens nicht betrauert, erstarrt innerlich, wird innerlich hart, unnahbar, ohne Mitgefühl für andere.

Was aber geschieht in einem Menschen, der seine Trauer angenommen und gelernt hat, mit ihr in der rechten Weise umzugehen? Nicht selten kann man feststellen, dass er auf einmal die Dinge des eigenen Lebens anders zu gewichten lernt. Denn in erfahrener Trauer kann eine große heilende Kraft liegen, indem ein Mensch einen neuen Blick für das wirklich Wichtige des eigenen Lebens bekommt. Viele beginnen, das Leben, den Alltag, das eigene Denken, das Tun, neu zu justieren; Ordnung hineinzubringen, wo Unwichtiges zuvor einen zu hohen, Wichtiges aber einen zu geringen Stellenwert hatte.

Viele lernen neu, die kleinen, unscheinbaren Freuden des Lebens zu schätzen; nehmen vieles nicht mehr als so selbstverständlich hin, werden dankbarer. Wer aber dankbar ist, weiß sich beschenkt, und sich beschenkt wissen ist immer ein Quell besonderer Freude.

Außerdem: Wie viele Menschen kommen erst durch eine Leiderfahrung zu einem tiefen Glauben an Gott, geben ihm wieder mehr Raum, weil sie wissen: Ohne ihn wird letztlich alles sinnlos, die Freude, das Leid, das ganze Leben, in ihm aber kann Sinn bekommen selbst das, was ich nicht verstehe, was ich im Moment nur als sinnlos und absurd begreifen kann.

Was geschieht noch: Ein Mensch, der gelernt hat, mit Trauer und Leid umzugehen, wird nicht bei sich und seiner Schmerzerfahrung stehen bleiben, sondern sich öffnen für andere Trauernde, sie besser verstehen, er wird sie aus eigener Erfahrung trösten und stützen können. Auch das erschließt eine ganz neue Erfahrung von Freude, die allein aus persönlich bestandener Trauer möglich ist.

In dieser Zeit des Advents, in der wir auf die Weihnacht zugehen – auf die Heilige Nacht, die für alle Nächte, alle Dunkelheiten, alle Finsternisse unserer Erde steht, und in die hinein das Kind geboren wird, das alle menschlichen Nächte mit Licht zu erfüllen vermag – wünsche ich Ihnen einen Umgang mit Ihren persönlichen Trauererfahrungen, die die Erfahrung von Glück nicht nur nicht ausschließt, sondern manche Glückserfahrung überhaupt erst ermöglicht.

Pfr. Bodo Windolf

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