Impuls für Radio Horeb vom 12. Januar 2011

St. Severin Garching

[Zurück zu Impulsseite] 

www.radio-horeb.de

Im Bild:
Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

Freiheit – Gabe und Aufgabe

(Impuls für Radio Horeb am 12. Jan. 2011)

Der erste Bundespräsident unseres Landes, Theodor Heuss, sagte 1950 bei einer Schuleinweihungsfeier in Heilbronn folgende berühmt gewordenen Worte: „Es gibt drei Hügel, von denen das Abendland seinen Ausgang genommen hat: Golgatha, die Akropolis in Athen, das Capitol in Rom. Aus allen ist das Abendland geistig gewirkt, und man darf alle drei, man muss sie als Einheit sehen.“ Gemeint hat er damit das Christentum, die griechische Philosophie und das römische Recht.

Wenn alle drei „Hügel“ wesentlich sind für unsere europäische kulturelle Identität, was mag passieren, wenn einer von ihnen abgetragen wird, sprich das Christentum mehr und mehr in den Köpfen und Herzen der Menschen stirbt? Ist es vorstellbar, dass dies folgenlos bleiben könnte nicht nur für viele Einzelne, sondern für unser Gemeinwesen insgesamt?

Um dieser Frage nachzugehen, möchte ich einen Aspekt herausgreifen, den ich als das Ur-Charisma, Gründungs-Charisma des Christentums bezeichnen möchte.

Das Christentum ist hervorgegangen aus dem Judentum. Dieses ist ursprünglich so etwas wie eine Stammesreligion, die Religion eines einzigen, politisch völlig unbedeutenden Volkes am Rande der Weltgeschichte, aber als dieses kleine Volk von Gott auserwählt für eine große Sendung. Denn immer wieder blitzt im Alten Testament die Ahnung auf, dass die Sendung Israels über es selbst hinausweist und sich einst ins Universale der vielen Völker der Erde öffnen wird. Als Beispiel seien zwei Sätze aus den ersten beiden Gottesknechtsliedern des Propheten Jesaja zitiert: „Ich, der Herr, habe dich (den Gottesknecht) dazu bestimmt, der Bund für mein Volk und das Licht für die Völker zu sein.“ (Jes 42,6) „Es ist zu wenig, dass du mein Knecht bist, um nur die Stämme Jakobs wieder aufzurichten … Ich mache dich zum Licht für die Völker, damit mein Heil bis an das Ende der Erde reicht.“ (Jes 49,6) Diese – wir würden heute sagen – „Globalisierung“ des jüdischen Glaubens, dessen Ausweitung in die ganze Welt, hat sich durch das Christentum tatsächlich vollzogen.

Entscheidend ist nun, dass dieser universale Aspekt ergänzt wird durch sein scheinbares Gegenteil, einen partikularen Aspekt. „Du bist mein geliebter Sohn, an dem ich Gefallen gefunden habe.“ (Lk 3,22) Dieses Wort aus dem Himmel, damals bei der Taufe Jesu an ihn selbst gerichtet, seitdem aber milliardenfach in jeder Taufe immer wieder neu Menschen zugesprochen, bedeutet eine bis dahin nie dagewesene Personalisierung der Religion und des Glaubens. Du bist gemeint. Du bist geliebt. Du bist angesprochen. Und zwar nicht zuerst mit einem „Du sollst“, „Ich befehle dir“, sondern mit einer – Liebeserklärung. Mit der Liebe, die Gott zu mir und dir und dir … hat, fängt alles an. Alles andere, auch das „Du sollst …“ der Gebote, ergibt sich nur als Folgerung aus diesem grundlegenden Ersten.

Und mit der Liebe ist etwas Weiteres aufgerufen: die Freiheit. Wo Glaube in erster Linie aufgefasst wird als Unterwerfung unter den Willen Gottes – genau das ist die Bedeutung des Wortes Islam;  wo das Erste nicht die Liebe Gottes, sondern der Gehorsam des Menschen gegenüber den Gesetzen Gottes ist, spielt Freiheit eine eher untergeordnete Rolle.

Wo die Liebe ins Spiel kommt, die niemals erzwingbar ist, wo ich angesprochen bin mit der Zusage: Du bist mein geliebtes Kind – bin ich in meiner Freiheit angerufen, diese Liebe zu erwidern, oder mich ihr zu entziehen, etwa durch Gleichgültigkeit, oder auch sie zu verweigern, etwa in offener Feindschaft gegen Gott und den Glauben. 

Diese Universalisierung des Glaubens, die auf alle Menschen zielt „ohne Ansehen der Person“ (vgl. Apg 10,35 und 1 Petr 1,17) hat eine Dynamik, die die von Menschen (oft gegeneinander) aufgerichteten Schranken von Rasse, Klasse, sozialem Status, Nationalität, Geschlecht, etc. aufsprengen will. Die Personalisierung des Glaubens aber lässt den Einzelnen nicht in der anonymen Ganzheit der vielen Völker untergehen, sondern meint ihn in seiner ganz persönlichen Freiheit und Würde.

Ohne diesen Ur-Impuls – den ich als das Ur- oder Gründungs-Charisma des Christentums bezeichnet habe – der das Individuum, die einzelne Person in den Blick nimmt, dabei aber den Blick für das Ganze und das Gemeinwohl nicht verliert, ist die Geschichte der Freiheit, insbesondere der Religions- und Gewissensfreiheit, wie sie sich im christlichen Abendland entwickelt hat, nicht zu verstehen. Diese Freiheit war und ist zu allen Zeiten ein fragiles, vielfach bedrohtes Gut. Staat und Kirche sind auf diesem langen und verwinkelten Weg immer wieder sowohl zu Orten der Freiheit und wie auch der Unfreiheit geworden. Wir Heutigen können uns glücklich schätzen, wohl in einer der freiesten Gesellschaften zu leben, die es je gab.

Aber Freiheit ist nie nur Gabe, sondern immer auch Aufgabe. In früheren Zeiten war es oft viel leichter, seinen persönlichen Lebensweg, gerade auch den Sinn seines Lebens zu finden, weil er durch viele Traditionen, Konventionen, aber eben auch durch so manche Zwänge vorgezeichnet war. Viele Menschen heute fühlen sich jedoch bei aller Bejahung der Freiheit geradezu überfordert und sind es oft auch, in der Vielfalt und Unübersichtlichkeit der angepriesenen und beworbenen Möglichkeiten den eigenen Lebensweg zu finden. Vielen ist ein guter Maßstab für einen gelingenden Lebensentwurf verloren gegangen, und das zeigt, dass Freiheit nicht nur von außen, sondern immer auch von innen bedroht sein kann.

Wie oft etwa wird Freiheit mit Beliebigkeit verwechselt und führt so nicht selten in die reine Banalität, in einen oberflächlichen Lebensgenuss, der das Leben irgendwann einfach nur noch leer und sinnlos erscheinen lässt; wie oft führt sie sogar ins nackte Böse. Freiheit vermehrt die Möglichkeit zum Guten, aber leider auch die zum Bösen. Beispiele dafür stehen uns allen zuhauf vor Augen

Was wir in unserer Gesellschaft wohl wieder neu lernen müssen, ist, dass Freiheit, verstanden als Bindungslosigkeit, auf Dauer in die Zerstörung führt; in die Zerstörung von Ehen, Familien, Beziehungen, vielleicht sogar in die Zerstörung einer ganzen Gesellschaft, nicht zuletzt auch in die Selbstzerstörung. Freiheit der Beliebigkeit fesselt an das eigene Ego, an die eigenen Triebe, führt also zuletzt in die Unfreiheit.

Wahre, echte Freiheit dagegen scheut nicht die Bindung. Ihr ist nur wichtig, dass sie sie nicht fremdbestimmt, sondern aufgrund persönlicher Entscheidung eingeht. Daher ist wahre Freiheit die persönliche Entschiedenheit für das Gute, für die Treue, z.B. in der Ehe, in der Familie, im Glauben; sie ist die Entschiedenheit für Barmherzigkeit, Güte, Selbstlosigkeit, für die Wahrheit. Und das alles auch und gerade dann, wenn es schwierig ist; denn nur der wirklich frei Gewordene, von sich selbst und von Eigensucht frei Gewordene, vermag entschieden das Gute auch gegen das momentane Wollen zu tun.

Der rechte Umgang mit der so verstandenen Freiheit muss, was sich unschwer erkennen lässt, gelernt werden und stellt sich uns als eine Lebensaufgabe dar. Freiheit haben wir nicht einfach, sondern wir müssen sie uns erwerben, durch so manche Selbstverleugnung erkämpfen. Die Freiheit der Beliebigkeit versklavt am Ende mehr und mehr; die Freiheit der Entschiedenheit für das Gute führt uns in eine immer größere Freiheit.

Letztlich aber werden wir die wahre Freiheit nur in dem finden, der der Ursprung aller Freiheit, der Ursprung aller Liebe ist: in Gott. Die Entschiedenheit für ihn führt in die Freiheit der geliebten Kinder Gottes.

Pfr. Bodo Windolf

Seitenanfang
© copyright   2011  WebMaster: Herbert Bauernfeind   webmaster@bauernfeind-web.de