Impuls für Radio Horeb vom 2. Februar 2011

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

Sehnsucht – des Menschen nach Gott und Gottes nach dem Menschen

(Impuls in Radio Horeb am 2. Febr. 2011)

Das Fest „Mariä Lichtmess“ oder, wie es seit der Liturgiereform heißt: „Darstellung des Herrn“, gehört in einem erweiterten Sinn noch zur Weihnachtszeit. Es ist der 40. Tag nach dem Geburtsfest Jesu, der Tag, an dem nach jüdischem Brauch der Erstgeborene, der eigentlich Gott gehört, durch ein Opfer ausgelöst werden musste. Der 2. Februar markiert daher auch das Ende der früheren Weihnachtszeit. (Nach dem neuen liturgischen Kalender endet sie ja schon am Sonntag nach dem Drei-Königs-Fest, nämlich am Fest Taufe des Herrn.) Grund genug für mich, das Geheimnis der Weihnacht, das Geheimnis der Menschwerdung Gottes noch einmal aufleuchten zu lassen.

Als Maria und Josef Jesus zum Tempel bringen, kommt ihnen Simeon, vom Hl. Geist getrieben, entgegen und erkennt in ihm den, an dem sich „viele aufrichten“, durch den aber auch „viele zu Fall kommen werden“; den, der das Heil und das Licht der Völker ist. Mit anderen Worten: er erkennt in diesem kleinen Kind den, der die tiefsten Sehnsüchte der Menschen und der Völker erfüllen wird, aber auch, dass diejenigen sich an ihm stoßen, an ihm Ärgernis nehmen werden, die ihre Sehnsucht auf das Falsche lenken.

Sehnsucht soll für mich daher das Stichwort sein, um auf das Geheimnis der Menschwerdung zu blicken. Ich will es tun entlang der Gedanken eines Gedichtes von Nelly Sachs, eine Dichterin jüdischen Glaubens, die durch rechtzeitige Flucht aus Deutschland nach Schweden den Holocaust hat überleben können.

Alles beginnt mit der Sehnsucht,

immer ist im Herzen Raum für mehr,

für Schöneres, für Größeres.

Beginnen wir mit dem ersten Vers: Alles beginnt mit der Sehnsucht, …

Welch große Wahrheit über uns Menschen. Schon das Baby schreit nach Nahrung und bittet stumm mit großen Augen um Zuwendung, Aufmerksamkeit, körperliche Nähe, kurz: um Liebe. Und das wird sich bis zum Lebensende eines Menschen nicht mehr ändern. Keiner von uns ist sich selbst genug. Aufeinander sind wir verwiesen, aufeinander angewiesen, sehnend und uns ausstreckend nach allem, was uns Glück verspricht. Noch stärker als die körperlichen und materiellen Bedürfnisse sind dabei die nach geistigen Gütern. Und so lautet die Fortsetzung des Gedichts:

Das ist des Menschen Größe und Not:

Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft und Liebe.

Ja, Anerkennung, Wertschätzung, Zuneigung, Freundschaft, Liebe – danach und nach viel mehr sehnen wir uns; niemand unter uns, der ohne solche Erfahrungen glücklich und seines Lebens froh  werden könnte.

Aber auch das Weitere, das die Dichterin ausführt, ist eine bedenkenswerte Grundwahrheit über die conditio humana, über unser menschliches Wesen:

… immer ist im Herzen Raum für mehr,

für Schöneres, für Größeres…

Und wo Sehnsucht sich erfüllt,

dort bricht sie noch stärker auf.

Wann immer wir ein Ziel erreichen, wie viele Wünsche auch immer sich uns erfüllen, und wäre es das Größte, das die Erde zu bieten hat – es wäre zu wenig, es würde unsere Sehnsucht nicht restlos stillen. Es wäre, wie die Dichterin sagt, „im Herzen (immer noch) Raum für mehr, Schöneres, Größeres“.

Wie aber ist das zu deuten? Es kann nur heißen: diese Sehnsucht in uns, mit der alles beginnt und die unser Leben bis zu unserem Sterben begleitet, kann nur etwas, nein jemand jenseits des irdisch Erreichbaren erfüllen: nämlich niemand anderer als Gott selbst. All unsere Sehnsucht, ob wir es uns eingestehen oder nicht, ist immer zugleich auch Sehnsucht nach Gott. Gott ist jenes Mehr, das wir spüren, wenn wir uns doch nicht zufrieden geben mit dem Erreichten, wieder nach Neuem ausstrecken, gleichsam zu neuen Ufern aufbrechen.

An dieser Stelle nun erfolgt ein vollkommen unerwarteter, kühner Umschwung in den Versen von Nelly Sachs.

Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,

mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?

Gott – voll Sehnsucht nach dem Menschen? Kann das sein, ist das nicht ein zu kühner, ein zu verwegener Gedanke? Gott, der Vollkommene, Unbedürftige, sich nach dem Menschen sehnend? Wie soll das sein können?

Und ob es sein kann! Denn wäre Er Mensch geworden, wenn nicht tatsächlich auch in Ihm eine solche Sehnsucht nach uns, nach jedem einzelnen von uns lebendig wäre?

Nur, es muss eine andere Art von Sehnsucht sein als die, die wir in uns tragen. Es kann nicht die Sehnsucht eines Bedürftigen sein, wie dies bei uns Menschen der Fall ist. Nein, es ist die Sehnsucht nicht der Bedürftigkeit, sondern die Sehnsucht der Liebe, die Sehnsucht einer vollkommenen, unendlichen Liebe.

Mögen wir bisweilen sagen: In deiner Haut möchte ich nicht stecken; Gott sagt: Ich möchte in deiner, in eurer Haut stecken; ich, der unendlich Ferne, möchte  euch nahe sein, wie ich es nur kann, wenn ich einer von euch werde, einer unter euch, einer mit euch. Und ich möchte es werden, um euch zu heilen.

Denn wie oft mag es vorkommen, dass Menschen die Sehnsucht ins Verkehrte wenden. Sehnen meint immer auch Warten, ein schmerzhaftes Noch-Nicht. Und dann passiert es leicht, dass wir unsere eigentliche und tiefste Sehnsucht verdrängen und zu beruhigen suchen, indem wir sie auf abgekürzten Wegen durch das schnelle, das käufliche, das machbare Glück zu finden meinen und so nicht selten durch Sucht ersetzen: Unterhaltungssucht, Kaufsucht, Arbeitssucht, Ess- oder Magersucht, Tablettensucht, Genusssucht... Das Immer-mehr verspricht Erfüllung, aber wie oft ist es ein leeres versprechen, und es bleibt eine gähnende, durch nichts auszufüllende Leere.

Jede Sucht – aber auch dass Gegenteil: nämlich ein inneres nicht mehr lebendig, fast schon tot Sein, weil einen überhaupt nichts mehr herausreißt aus dem trägen Dahindümpeln im Alltag mit seinen eintönigen Pflichten und dem Feierabend vor dem Fernseher und dem Glas Bier – ist Ausdruck einer uneingestandenen Sehnsucht. Sie birgt die Gefahr der Selbstzerstörung, kann aber auch eine Chance bergen, gleichsam  ein „Wecker“ sein, um mit ihr Zwiesprache zu halten und zu fragen: Was willst du mir sagen?

Gerade dort, wo wir uns süchtig unfrei oder träge selbstzufrieden erfahren, sind wir daher eingeladen, wieder mit der tiefer liegenden Sehnsucht in Berührung zu kommen, unsere Süchte oder Lethargie wieder in Sehnsucht zu verwandeln, damit sie uns nicht zerstören, sondern die Sehnsucht uns nach oben ziehen kann, dorthin, wo die eigentliche Größe des Menschen liegt, und das ist das Sich-ausstrecken nach Gott, in dem allein alle Sehnsucht an ihr Ziel kommt und Stillung findet.

Das ist wohl der Grund, warum die Dichterin auch von einer Sehnsucht nach Stille spricht. Wie viele Menschen sind gar nicht mehr in echtem Kontakt mit sich selbst. Mit sich selbst und unserer tiefsten Sehnsucht in Berührung kommen gelingt aber nur, wenn wir uns aus dem Gelärm des Alltags immer auch wieder zurückziehen und uns auf uns selbst besinnen. In der Stille, in der Tiefe unseres Herzens werden wir dann auch in Berührung kommen mit Gott; mit dem Gott, der Mensch wurde aus Sehnsucht nach mir, aus Sehnsucht nach jedem einzelnen Menschenkind.

Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,

mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?

So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen,

Dich zu suchen,

und lass sie damit enden,

Dich gefunden zu haben.

Wer etwas davon in sich spürt, wie sehr Gott, wie sehr Jesus sich nach mir sehnt, der fängt an, das wesentliche des Weihnachtsgeheimnisses zu begreifen.

Und so will ich schließen mit dem ganzen Gedicht von Nelly Sachs. Wie schön, dass es eine Jüdin ist, so wie Jesus und Maria und die Apostel und alle anderen Freunde Jesu Juden waren, die uns durch ihre Verse das wunderbare Geheimnis dieser Heiligen Nacht erschließt:

Alles beginnt mit der Sehnsucht,

immer ist im Herzen Raum für mehr,

für Schöneres, für Größeres.

Das ist des Menschen Größe und Not:

Sehnsucht nach Stille, nach Freundschaft und Liebe.

Und wo Sehnsucht sich erfüllt,

dort bricht sie noch stärker auf.

Fing nicht auch Deine Menschwerdung, Gott,

mit dieser Sehnsucht nach dem Menschen an?

So lass nun unsere Sehnsucht damit anfangen,

Dich zu suchen,

und lass sie damit enden,

Dich gefunden zu haben.

Pfr. Bodo Windolf

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