Impuls für Radio Horeb vom 6. April 2011

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

Tötung auf Verlangen oder Begleitung von Schwerstkranken und Sterbenden?

(Radio-Impuls vom 6. April 2011)

Dinge ändern sich oft schleichend, unbemerkt. Denn auf abschüssiger Bahn verursacht ein kleiner Schritt nur einen geringen Niveauunterschied. Doch die Summe vieler kleiner Schritte offenbart gelegentlich ein schwindelerregendes Gefälle; oft allerdings erst dann, wenn es schon längst zu spät ist. Dieser Vorgang spielt sich, so scheint mir, derzeit im Bereich des ärztlichen Standesethos ab. Worum geht es?

Am 21. Januar 2011 verabschiedete die Bundesärztekammer, von der Öffentlichkeit höchstens am Rande zur Kenntnis genommen, neue Grundsätze zur ärztlichen Sterbebegleitung. Wenn ich es recht sehe, sind hier einige höchst bedenkliche Änderungen vorgenommen worden. Für jetzt will ich mich auf einen einzigen Punkt beschränken, nämlich auf die Frage nach dem ärztlich assistierten Suizid.

In der Präambel der Grundsätze von 2004 wurde noch, neben „aktiver Sterbehilfe“ und „Tötung auf Verlangen“, auch die Beteiligung von Ärzten am Suizid eindeutig verworfen. So hieß es damals: „Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung widerspricht dem ärztlichen Ethos und kann strafbar sein.“ Dies liegt ganz auf der Linie des traditionellen Selbstverständnisses der ärztlichen Zunft: Der Arzt ist ausschließlich da für die Heilbehandlung von Patienten und kann daher im Angebot keinen Freitod-Service enthalten.

In der modifizierten Version von Anfang diesen Jahres ist nun aber das ausdrückliche Verbot der Beihilfe zur Selbsttötung gestrichen. Künftig gilt nur noch: „Die Mitwirkung des Arztes bei der Selbsttötung ist keine ärztliche Aufgabe.“ Diese feine, kaum merkbare Modifizierung soll – so ist im Vorwort zu lesen – die „Grundausrichtung“ der bisherigen Position der Ärzteschaft nicht ändern. Man wolle aber „die verschiedenen und differenzierten Moralvorstellungen von Ärzten in einer pluralistischen Gesellschaft“ anerkennen.

Im Hintergrund steht eine Umfrage von Allensbach aus dem vergangenen Jahr, nach der sich 30 % der Ärzte für eine medizinische Beihilfe zur Selbsttötung unheilbar Kranker ausgesprochen hatten, gegenüber 62 %, die dies ablehnten. Mag der Anteil von 30 % hoch, sogar erschreckend hoch erscheinen – aber er stellt keine Mehrheit dar. Wobei selbst diese Feststellung schon auf eine falsche Fährte lenkt. Denn wie desaströs ist es für ein ärztliches Standesethos, wenn seine Grundsätze, bei denen es immerhin um Leben und Tod geht, nur noch den Anspruch hat, Meinungsumfragen abzubilden.

In einem Beitrag in der FAZ vom 31. März kommentierte Petra Gehring, die an der TU Darmstadt Philosophie lehrt, das Ganze so: „Im Klartext ist damit die Duldung der Beteiligung von Ärzten an assistierten Suiziden ausgesprochen. Auch die Zusammenarbeit von Medizinern mit Sterbehilfevereinen wie Exit oder Dignitas stünde aufgrund dieser Klausel nicht mehr im Widerspruch zur deutschen Approbation: Was nicht ‚ärztliche Aufgabe’ ist, muss ein Arzt nicht tun. Aber er kann es – und tut es im Zweifel als Privatmensch. Damit erklärt sich die Bundesärztekammer schlichtweg für unzuständig. Sie gibt die Option einer Selbsttötungsbeteiligung im Stile einer nichtärztlichen Nebentätigkeit von Ärzten frei. Praktisch dürfte aber bei jener ‚Mitwirkung’ eben das den Ausschlag geben, was nur ein Arzt tun darf. Nur er kann beispielsweise Rezepte für tödliche Medikamente ausschreiben.“

Es ist klar, dass damit ein weiterer Schritt hin zur in unserem Land legitimierten Tötung von Menschen getan ist. Einmal mehr wird ein zentraler Grundsatz des 2400 Jahre alten Hippokratischen Eides über Bord geworfen, dass ärztliche Kunst, wie schon erwähnt, ausschließlich zum Heilen, nicht aber zum Töten eingesetzt werden darf.

Diese, wie gesagt, in der Öffentlichkeit kaum beachteten Vorgänge will ich zum Anlass nehmen, über einen weiteren, nur selten geäußerten Gesichtspunkt beim Umgang mit Schwerstkranken und Sterbenden in Hinblick auf dieses Thema nachzudenken.

In seiner Botschaft zum diesjährigen Welttag der Kranken (11. Febr.) schrieb Papst Benedikt: „Das Maß der Humanität bestimmt sich ganz wesentlich im Verhältnis zum Leid und zum Leidenden. Das gilt für den Einzelnen wie für die Gesellschaft.“

Wir alle wissen, dass der Umgang mit alten und sterbenden Menschen in Krankenhäusern und Altenheim en häufig sehr zu wünschen übrig lässt, unwürdig, ja barbarisch sein kann, in manchen Häusern aber mit großem Einsatz geschieht. Es sei an dieser Stelle einfach einmal allen gedankt, die in Senioren-heimen, bei der Nachbarschaftshilfe, in Hospizen und Hospizkreisen, auf Palliativstationen, bei der Caritas, der Diakonie, oft aber auch daheim bei der Pflege und Begleitung von Angehörigen Herausragendes leisten.

Eine der großen Fragen unserer Zeit ist: Wie ist mit Menschen umzugehen, die unheilbar krank sind und nicht mehr leben wollen. Es werden immer mehr in unserem Land – inzwischen ist es sogar die Mehrheit der Bevölkerung – die für diese Personen aktive Sterbehilfe oder zumindest den oben thematisierten ärztlich assistierten Suizid legalisiert sehen möchten. Der Leidende soll die Möglichkeit haben, sein Leid aus der Welt zu schaffen, indem er mit Hilfe anderer sich selbst aus der Welt schafft. Das Ganze geschieht unter Berufung auf höchste Werte wie Humanität, Mitleid, Freiheit, Selbstbestimmung.

Nun mag es ja sein, dass es Einzelne gibt, die die Entscheidung zum Suizid tatsächlich frei treffen. Ich selber denke dazu: Mögen sie tun, was sie wollen, aber sie sollen doch dann bitte selbst Hand an sich legen und nicht noch andere mit hineinziehen und so das Töten als eine bezahlte ärztliche Dienstleistung einfordern. Hinzufügen möchte ich allerdings, das die vorsätzlich herbeigeführte und von langer Hand mit klarem Kopf geplante Selbsttötung, sei es allein oder mit Hilfe anderer, nach wie vor ein schwerstes Verschulden gegen Gott, gegen sich selbst und oft auch gegen Mitmenschen darstellt. Ich fürchte, dass das irdische Leid, dem sie entkommen, ein leichtes ist gegenüber dem göttlichen Gericht, das auf sie wartet. Selbsttötung ist keine Bagatelle.

Die aber, um die es bei dieser Thematik eigentlich gehen muss, sind andere; nämlich die, die unversehens – und das wird unvermeidbar eintreten – sich zur Selbsttötung gedrängt fühlen mit dem stillen Hinweis: Bitte, dort ist die Tür! Wenn du nur wolltest, könntest du uns von dir befreien; der Staat selbst und die Bereitschaft nicht weniger Ärzte lässt es ja zu. Es wäre für uns und die Allgemeinheit so viel billiger und würde uns viel Mühe mit dir ersparen.

Die immer größer werdende Zahl alter Menschen, der Kostendruck im Gesundheitswesen, die wachsende Überforderung von Ärzten und Pflegekräften wird auf Dauer dazu führen, dass „aus dem vermeintlichen Recht, selbst entscheiden zu können, wann man aus dem Leben scheidet, sehr schnell die Verpflichtung wird, dies genau dann ‚zu wollen’, wenn andere dies für ökonomisch geboten halten“ (Rehder, nach Püttmann, Gesellschaft ohne Gott, 139). 

Jörg-Dietrich Hoppe, der scheidende Präsident der Bundesärztekammer, der befremdlicherweise für die oben beschrieben Änderung des ärztlichen Standesrechts eintrat, obwohl seine persönliche Überzeugung eine andere ist, sagte in einem Spiegel-Interview: „Beihilfe zum Selbstmord ist keine ärztliche Aufgabe.… Ein Arzt muss … genau untersuchen, ob eine Depression vorliegt. Denn in 95 Prozent der Fälle, in denen Ärzte um Suizidbeistand gebeten werden, ist der Patient depressiv. Und fast alle Patienten, deren Depression behandelt wird, halten den Suizidwunsch nicht mehr aufrecht.“

In einem anderen Interview sagte er: „In Holland ist der Damm gebrochen. Da geht man oft über das hinaus, was eigentlich im Gesetz beabsichtigt ist. Mittlerweile gibt es dort nicht wenige ältere Menschen, die Angst haben, durch den gesellschaftlichen und auch verwandtschaftlichen Druck aktive Sterbehilfe an sich vornehmen lassen zu müssen. Diese Ethik geht vom Nützlichkeitsprinzip aus.“

Aus einer anonymen Befragung unter holländischen Ärzten geht hervor, dass es jährlich Hunderte sind, die sogar ohne persönliche Einwilligung getötet werden; vermutlich zu einem großen Teil auf Wunsch der Angehörigen. Diejenigen, die nur nach außen hin „freiwillig“ den Todeswunsch äußern, stellen zweifellos eine noch viel größere Anzahl dar.

Auch wenn ich der Auffassung bin, dass man nicht im Geringsten Christ sein muss, um die Gründe, die  gegen aktive Sterbehilfe oder ärztlich assistierten Suizid sprechen, anzuerkennen, scheint es doch inzwischen so, dass bekennende Christen die einzige gesellschaftliche Gruppe in unserem Land sind, die sich noch eindeutig gegen dem Trend zum „sozialverträglichen Frühableben“ (Carsten Vilmar) stellen; die sagen: der Umgang mit dem Leid Sterbender muss ein anderer sein als die vorzeitige Entsorgung des Leidenden.

Für jeden vernünftig denkenden Menschen, aber um so mehr für jeden Christen, der nicht mitmachen will an der immer barbarischer werdenden „Kultur des Todes“, kann das vor diesem Hintergrund nur bedeuten: niemals mitzumachen bei der Tötung von Menschen, sei es am Anfang, sei es am Ende des Lebens; wohl aber, sie sterben zu lassen, wenn ärztliche Kunst nicht mehr das Leben, sondern nur noch das Leid eines Menschen verlängert. (Auch wenn es hier eine Grauzone gibt und nicht immer leicht zu entscheiden ist, ob noch medizinische Maßnahmen angezeigt sind oder nicht, müsste es in eindeutigen Fällen ebenfalls zum ärztlichen Standesethos gehören, nicht die ganze medizinische Maschinerie anzuwerfen, sondern einen Menschen in Frieden und in Würde gehen zu lassen.) Weiter bedeutet es, sie palliativ und menschlich so zu begleiten, der der Wunsch nach Suizid gar nicht erst aufkommt. Es bedeutet aber auch, Licht in die Maskerade des Bösen zu bringen, d.h. gegen diese neue Barbarei unter dem Deckmantel der Humanität deutlich seine Stimme zu erheben. Denn unter der Maske tritt im Allgemeinen der nackte Egoismus zutage. Wahre Humanität ist, Kranke und Sterbende zu begleiten, Schmerzen zu lindern, Kraft und Trost zu spenden, ihnen zu verstehen zu geben: Du bist nicht allein, ich bin bei dir, halte deine Hand, ich lasse dich nicht allein. 

Zuletzt bedeutet es, als Kranker auch selbst nicht seinem Tod eigenmächtig vorgreifen zu wollen, sondern alles, restlos alles in die Hand Gottes zu legen, in dem alles, auch das Sterben, selbst ein langes Sterben, einen Sinn bekommt. 

Dass wir alle die Kraft finden, das Sterben anderer, wo es uns aufgetragen ist, in der rechten Weise begleiten zu können und auch unser eigenes Sterben in guter Weise zu tragen, dazu möge Gott uns seine Gnade und seinen Segen schenken, den Segen des Vaters …

Pfr. Bodo Windolf

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