Impuls für Radio Horeb vom 27. April 2011

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

In Bezug auf Gott können wir unentschieden denken, aber nicht unentschieden leben

(Impuls Radio Horeb vom 27. April 2011)

Die Perikope von den Emmausjüngern hat eine fast unausschöpfliche Tiefe, und so möchte ich heute einen Aspekt herausheben, der vielleicht nicht sofort ins Auge fällt, aber bei näherem Hinsehen sich nahezu aufdrängt. Lukas beschreibt den äußeren Weg der beiden Jünger, von Jerusalem weg in ihr Heimatdorf Emmaus und wieder zurück, zugleich als einen inneren Weg: als einen Weg vom Unglauben zum Glauben, vom verlorenen Glauben zu einem auf eine ganz neue Weise wiedergefundenen Glauben, psychologisch ausgedrückt: als einen Weg aus Dunkelheit und Depression heraus in gänzlich unerwartetes Licht und Freude. Wie in einem Zeitraffer ist hier ein Glaubensweg wiedergegeben, der oftmals über Jahre, Jahrzehnte oder gar das ganze Leben geht.

Es ist daher sicher nicht schwer, sich selbst und seinen eigenen Glaubensweg auf irgendeine Weise in den Emmausjüngern wiederzufinden, allerdings heute mit einer etwas anderen Fragestellung als damals. Damals war der Glaube an Gott etwas Selbstverständliches, allerdings nicht der Glaube an Jesus Christus als den Auferstandenen.

Der Mensch unserer Tage, besonders der in den Naturwissenschaften Beheimatete, ist nun schon in Bezug auf die Frage nach Gott, und noch einmal mehr in Bezug auf die Frage nach Jesus Christus als den Sohn Gottes, als Menschgewordenen, als Auferstandenen, als Erlöser vor das Problem gestellt: Ist der Glaube daran eigentlich mit unserem Verstand, mit einem modernen kritischen Bewusstsein vereinbar?

Viele meinen, als Glaubender könne man heute doch nur in zwei Parallelwelten leben, die nichts mehr miteinander zu tun haben: hier die Welt des Verstandes, der Wissenschaft, der Forschung, der Technik als die Welt des Wissbaren; dort die Welt des Glaubens als eine Welt, in der man den Verstand ablegen muss zugunsten des Nichtwissbaren, des Vermutens, des Gefühligen.

Es ist interessant, welchen auf den ersten Blick sehr plausiblen Ausweg sich viele gerade unter den akademisch Gebildete heutzutage suchen. Sie sagen: Mit jeder Art religiösen Glaubens – sei er nun christlich oder jüdisch oder moslemisch, hinduistisch oder buddhistisch – überschreiten wir die Grenze des Mess- und Zählbaren und damit dessen, was wir empirisch nachweisen und wissen können. Wir betreten einen Bereich, in dem nichts mehr verifizierbar oder falsifizierbar ist, d.h. in dem Wahr oder Falsch einer Behauptung weder durch Berechnungen noch durch Experimente oder empirische Daten festegestellt werden können, also alles nur noch Spekulation, Vermutung zu sein scheint.

Da die Wissenschaft hier auf eine prinzipielle und daher unüberwindbare Grenze trifft, ist auch der Atheismus keine echte Option. Denn auch der, der Gott leugnet, behauptet mehr, als er wissen und beweisen kann. „Wissenschaftlicher Atheismus“ – wie ihn traditionelle und moderne Atheisten vertreten – ist daher etwas Absurdes, so etwas wie ein „hölzernes Eisen“.

Die Redlichkeit des Denkens und die Demut vor dem Unbekannten scheint daher gewissermaßen ein Zwischending zu empfehlen: nämlich den Agnostizismus. Der Agnostiker hält die Frage einfach offen und sagt: Ob Gott existiert oder nicht, ob es mit Christus und seiner Auferstehung etwas auf sich hat oder nicht, ist für modernes kritisches Denken nicht entscheidbar, muss also offen bleiben. Daher lege ich mich weder in die eine noch in die andere Richtung fest. Ich lasse es in der Schwebe und lebe auch in dieser Schwebe.

Zunächst einmal ist dieser, wie gesagt, auf den ersten Blick sehr plausiblen Haltung, Respekt entgegenzubringen. Dennoch meine ich, dass es notwenig ist, sie auf ihre Tragfähigkeit, d.h. Lebbarkeit hin zu befragen.

Das Problem dieser Haltung ist, dass die Grundfragen unseres Lebens: Woher komme ich?, Wohin gehe ich?, Was darf ich hoffen?, Was ist gut und böse?, Welchen Sinn hat mein Dasein?, … unlösbar mit der Frage nach Gott verbunden sind. Diese Grundfragen sind dabei alles andere als ein rein theoretisches Problem wie etwa die Frage, ob sich das Universum irgendwann wieder zusammenzieht oder nicht, sondern eine unausweichlich praktische Angelegenheit. Nicht durch irgendeine fromme oder unfromme Theorie gebe ich darauf Antwort, sondern durch mein gelebtes Leben. Und das Leben ist nie theoretisch oder hypothetisch, sondern immer praktisch. Das heißt: Mag ich in der Theorie noch so sehr ein Agnostiker sein, in der Lebenspraxis muss ich mich entscheiden: lebe ich, als ob es Gott nicht gäbe, oder lebe ich, als gebe es Gott und als sei er die maßgebende Wirklichkeit für mein Leben. Das Problem ist also, dass vor der Frage nach Gott lebenspraktisch keinem Menschen Neutralität eingeräumt ist.

Werfen wir von hier aus nochmals einen kurzen Blick auf das Evangelium. Welchen Haltungen begegnen wir hier? Zunächst einmal der Bereitschaft, sich überhaupt auf ein Gespräch, auf Auseinandersetzung einzulassen. Die Jünger hätten sagen können: Dieses Kapitel unseres Lebens mit Jesus von Nazareth ist für uns definitiv abgeschlossen. Da waren zwar ein paar Frauen, die etwas von Auferstehung gefaselt haben, aber das interessiert uns nicht mehr. Wir halten uns an das, was wir mit eigenen Augen gesehen haben, und das ist: Er ist tot, und er bleibt tot. Aber obwohl die Jünger den Frauen tatsächlich keinerlei Glauben schenken, lässt das Thema sie nicht los. Vielleicht spüren sie: Für die Behauptung „Er bleibt tot“, können sie sich schon nicht mehr auf den Augenschein berufen; das ist schon Interpretation.

Der entscheidende Punkt des Gespräches ist wohl der, als Jesus so tut, als wolle er weitergehen. Auf eine ganz feine Weise wird hier ausgedrückt: Gott drängt sich nicht in unser Leben hinein, Er drängt sich uns nicht auf. Er lässt uns die Freiheit. Denn gerade hier hätten die Jünger sagen können: Es war eine nette, interessante Unterhaltung mit dir, hat uns gut getan, aber es reicht jetzt auch. Möge doch jeder seiner Wege gehen. 

Nein, statt dessen werden sie wenig später sagen: Brannte nicht unser Herz, als er mit uns sprach. Sie spüren, vielleicht noch ganz unreflektiert: Hier geht es um mich, um das Ganze, um die Gesamtgestalt meines Lebens, um Sinn oder verlorenen Sinn meines Daseins. Und so bleiben sie dran an diesem Thema und bitten: Bleib doch bei uns, denn es will Abend werden. Sie sagen es zu dem, der sich selbst als das Licht der Welt bezeichnet hat. Licht in so manches Dunkel des Lebens zu bringen, das ist das Ansinnen Jesu, sowohl bei den Jüngern von Emmaus wie auch bei uns wie auch überhaupt bei jedem Menschen.

Zuletzt erkennen sie den Auferstandenen beim Brechen des Brotes. Das kann nur heißen: Glaube ist im Letzten nicht eine Sache theoretischen Reflektierens, sondern des Vollzugs. Ich muss ihn tun, im Suchen des Gesprächs mit Gott, das wir Gebet nennen; in der Mitfeier der Liturgie. Nur wenn der Glaube einen konkreten Ort in meinem Leben hat, alltagspraktisch wird, kann er auch das innere Licht entfalten, das er zu geben hat.

Fazit: Unsere Vernunft weiß um Größeres als das Zähl- und Messbare. Sie darauf zu beschränken, hieße, die Vernunft klein zu machen, weil wir sie ausschließen würden aus dem Bereich, wo wir auf die eigentlichen Fragen des Lebens stoßen; auf die Fragen, die über Sinn oder Unsinn unseres Daseins entscheiden. In Bezug auf Gott, in Bezug auf Christus, den Auferstandenen, können wir nicht neutral bleiben. Das entscheiden wir nicht theoretisch, sondern durch unser Leben.

Ich wünsche uns allen, dass auch uns wie den Jüngern von Emmaus immer wieder neu das Herz brenne und uns die inneren Augen aufgehen für die Wahrheit jener frohmachenden Botschaft des heutigen Ostertages: Der Herr ist auferstanden, er ist wahrhaft auferstanden.

Pfr. Bodo Windolf

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