Impuls für Radio Horeb vom 18. Mai 2011

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

Schweigespirale um das Thema Abtreibung

(Impuls in Radio Horeb vom 18.5.2011)

In der vergangenen Woche war die alljährlich stattfindende „Woche für das Leben“, und es wäre interessant, einmal zu erfahren, wer in unserem Land eigentlich irgendeine Notiz davon genommen hat. Zu dieser von der Deutschen Bischofskonferenz, dem Zentralkommitee der deutschen Katholiken und der EKD verantworteten Veranstaltung fällt mir inzwischen kaum etwas anderes ein als der berühmte Satz von Carl Sandburg: „Stell dir vor, es ist Krieg, und keiner geht hin“. Angewandt auf die einmal als Lebensschutzwoche gedachte Initiative: „Stell dir vor, es ist ‚Woche für das Leben’, und es interessiert buchstäblich niemanden.“

Natürlich ist es inzwischen wohlfeil geworden, unsere Bischöfe für alles Mögliche zu kritisieren. Aber in diesem Punkt möchte ich meine normalerweise geübte Zurückhaltung aufgeben und mir die Bemerkung erlauben: Die deutsche Bischofskonferenz macht sich, besonders seit die EKD mit ins Boot genommen wurde, mitschuldig an der Schweigespirale in Bezug auf eine der furchtbarsten Wunden unserer Gesellschaft. Wer das Problem „Abtreibung“ benennt, in die Öffentlichkeit trägt und immer wieder zum Thema macht, eckt an, keine Frage. Wer aber eine speziell zugunsten des Lebensschutzes ins Leben gerufene Initiative mit Themen befrachtet, die allein dem Bedürfnis geschuldet scheinen, alles Anecken zu vermeiden und dem Wohlfühl- und Harmoniebedürfnis der Deutschen Rechnung zu tragen, begeht Verrat: Verrat am Evangelium, das immer gerade auch den Schwächsten einer Gesellschaft eine Stimme gibt; Verrat damit an Jesus Christus, der für eine „Kultur des Lebens“ entgegen einer „Kultur des Todes“ steht, wie der gerade seliggesprochene Papst Johannes Paul es nicht müde wurde zu formulieren; Verrat an den ungeborenen Kindern, die überhaupt keine eigene Stimme haben und deren bisherige Anwälte in der Kirche mehr und mehr verstummen.

„Warum habt ihr geschwiegen?“, hat die 68-Generation die eigenen Eltern und Großeltern in Bezug auf Hitlerdeutschland und den Holocaust gefragt. Dieselbe Frage muss man mit größerem Recht – weil heute niemand dafür sein Leben riskiert – an die Adresse weiter Teile unserer Gesellschaft richten, leider einschließlich der deutschen Kirche sowie des weitaus größten Teils ihrer Amtsträger: Warum schweigt ihr angesichts eines Krieges, der seit Jahrzehnten in unserem Land und in vielen weiteren Ländern der Erde gegen den eigenen Nachwuchs geführt wird? Die Zahl der Toten dieses „Krieges“ übersteigt mit etwa 6-8 Millionen getöteter Kinder seit der Reform des § 218 Mitte der siebziger Jahre inzwischen deutlich die Zahl der Kriegstoten Deutschlands im II. Weltkrieg. Wer schweigt, macht sich mitschuldig – das ist mein Vorwurf an eine inzwischen vollkommen belanglos gewordene „Pseudo-Woche für das Leben“.

Wenn wir als Kirche über Abtreibung sprechen, müssten m.E. mehrere Seiten des Problems im Blick sein. Als erstes müsste wieder und immer wieder die perfide Menschenverachtung derer benannt werden, die Abtreibung als unproblematische Problemlösung eines ungewollten Kindes propagieren; d.h. die Abtreibung herunterspielen zu einer Operation wie Zahnziehen. Die Menschenverachtung betrifft nicht nur das Kind, demgegenüber der Abtreibungsbefürworter wie ein Herrenmensch auftritt, indem er über dem einen Kind den Daumen senkt, über dem anderen den Daumen gnädigst hebt. Vielmehr sind Opfer der Menschen-, ja Frauenverachtung auch und gerade die Mütter. Selbst für die, die eine Abtreibung für unproblematisch halten, weil sie nie über deren Folgen aufgeklärt wurden, gilt: die Seele vergisst die Gewalt gegen das eigene Kind nie. Die Unzahl von körperlichen und vor allem seelischen Folgen, werden zusammengefasst im Begriff des Post Abortion Syndroms (PAS). Dazu gehört unbegründetes Weinen, Angstzustände, Depressionen bis hin zu Suizidgedanken und Suizidversuchen, Scham-, Schuld-, Reuegefühle, Gefühle des Beschmutztseins, Verlust des Selbstwertgefühls, Absterben des Gefühlslebens, Hass- und Ekelgefühle gegenüber der Sexualität, Hass gegen Kindsvater – oft zum errechneten Geburtstermin, Jahrestag der Abtreibung, bei Ehekrisen, ganz massiv im Klimakterium, oder auf dem Sterbebett.

All das und vieles mehr müssen in der Regel nicht Männer oder Familienangehörige tragen, die nur zu oft zum Abbruch der Schwangerschaft drängen, sondern einmal mehr die Frauen selbst; und damit die, die sicher nicht immer, aber oft die Unschuldigsten bei einer Abtreibung sind. Man kann sicher sein, dass eine hohe Anzahl von schwersten seelischen Problemen in unserem Land, nebenbei bemerkt nicht nur bei Frauen, sondern immer häufiger auch bei Männer, mit einer manchmal schon lang zurückliegenden Abtreibung in Zusammenhang stehen, ohne dass dies bewusst ist.

Als zweites ist von seiten der Kirche den betroffenen Menschen – die, wie gesagt, neben den Kindern oft die zweiten Opfer einer Abtreibung sind – nicht im Ton der Anklage zu begegnen, sondern mit Mitgefühl und Barmherzigkeit. Es wird sträflich wenig auf unseren Kanzeln darüber gesprochen, welche Möglichkeiten der Heilung es von kirchlicher Seite gibt. Natürlich mag oft eine Therapie notwendig und hilfreich sein. Aber in nicht wenigen Fällen wird schon eine Beichte sehr heilsam sein, vielleicht, wie ich selber es schon des öfteren praktiziert habe, in Verbindung mit einer sog. „Feier der Verabschiedung“. Die Mutter gibt dem Kind einen Doppelnamen, und zwar einen Mädchen- und einen Bubennamen, da das Geschlecht ja nicht bekannt ist. In einem Gebet wendet sich die Mutter an das Kind, bittet nach der Beichte auch dieses um Verzeihung, und lässt es los, indem sie es in einem weiteren Gebet ganz in die Hände dessen zurücklegt, von dem sie es eigentlich erhalten hatte, nämlich in die Hände Gottes. Es ist eine sehr schlichte, aber tiefgehende Feier. Erst kürzlich erzählte mir eine betroffene Frau, dass sie seitdem nicht mehr das Bedürfnis verspürt, die Kirche zu verlassen, sobald das Thema Abtreibung angesprochen wird.

Als drittes müsste m.E. die Kirche verstärkt auch eine weitere Gruppe in den Blick nehmen. Zu denen, die in das Abtreibungsgeschehen eingebunden sind, von denen aber so gut wie kaum die Rede ist, gehören auch die Ärzte. Hier das, wie ich finde, erschütternde Zeugnis eines von ihnen:

 „Morgen ist der Stichtag, an dem ich mir im Laufe der letzten Jahre vornahm, die Entscheidung zu treffen: Mache ich weiter als Abtreibungsarzt für pro familia oder nicht? Morgen. Nicht vorher. Nicht nachher. Morgen entscheide ich mich. Endlich! Seit zweieinhalb Stunden brüte ich: Wie schreibt man etwas auf, das man getan hat? Noch tut? Wenn man das, was man tut, mittlerweile hasst? Noch dazu mit der Überzeugung lebt, dass es eigentlich egal ist, ob ich es tue. Denn wenn ich es nicht tue, tun es andere. Dann kann ich es doch auch tun?! … Mein bester Freund, der hat sich damals nicht beworben, um Abtreibungen zu machen, der hat damals schon gesagt, dass er so etwas nie machen würde, ihm reicht, was während der Ausbildung verlangt wurde, da war er nahe daran, alles hinzuschmeißen, er hat gekotzt und geheult nach seiner ersten Ausschabung und am ganzen Körper gezittert. Ich nicht. … Es kann auch sein, dass mir das Töten der Kinder Spaß machte. Es war auch irgendwie faszinierend, Herr über Leben und Tod zu sein. Es ist ja, wenn ich so darüber nachdenke, die denkbar größte Macht, die ich haben kann. … Ich sah immer zu, dass alles sauber ablief, damit keine Unruhe aufkommt. Ich schaute kurz auf das Blatt, damit ich sehen konnte, wie viele Abtreibungen heute dran sind. Dann ging ich nach nebenan, um mit den Frauen zu sprechen, wie es abläuft. Ich arbeitete nach der Devise: Ich bin nur derjenige, der ausführt, was andere zu verantworten haben. … Ich mochte sie nicht, alle diese ‚ungewollt Schwangeren’, aber eigentlich ist das zu viel gesagt. Sie waren mir gleichgültig. Sie kommen wie die Schlachttiere und so gehen sie auch wieder. … Was ich mir wünsche? Vielleicht sollte ich mir wünschen, dass der tägliche Alptraum nicht mehr wiederkommt. Wie ich in den Keller steige und weiß, was mich erwartet, wenn ich um die Ecke gehe und das Stöhnen der getöteten Kinder höre. … Nun also, dann entscheide ich mich endlich: Ich werde keine einzige Abtreibung mehr machen. Sieben Jahre habe ich dazu gebraucht.“

Schließen möchte ich mit zwei Zitaten. Das eine stammt vom James-Bond-Darsteller Pierce Brosnan, der selber 5 Kinder hat. Als Rat an die Väter sagte er einmal: „Du musst das Leben im Mutterleib pflegen. Du musst den Kindern im Mutterleib vorsingen und mit ihnen reden. Sie sind Geschenke Gottes.“

Zuletzt Mutter Teresa: 

Das Leben       ist  SCHÖNHEIT, bewundere sie.

Das Leben       ist  SELIGKEIT, genieße sie.

Das Leben       ist  ein TRAUM, mache eine Wirklichkeit daraus.

Das Leben       ist  eine HERAUSFORDERUNG, stelle Dich ihr.

Das Leben       ist  eine PFLICHT, erfülle sie.

Das Leben       ist  ein SPIEL, spiele es.

Das Leben       ist  KOSTBAR, geh sorgfältig damit um.

Das Leben       ist  REICHTUM, bewahre ihn.

Das Leben       ist  LIEBE, erfreue Dich an ihr.

Das Leben       ist   ein RÄTSEL, durchdringe es.

Das Leben       ist VERSPRECHEN, erfülle es.

Das Leben       ist  TRAURIGKEIT, überwinde sie.

Das Leben       ist  eine HYMNE, singe sie.

Das Leben       ist  KAMPF, akzeptiere ihn.

Das Leben       ist  TRAGÖDIE, ringe mit ihr.

Das Leben       ist  ABENTEUER, wage es.

Das Leben       ist  GLÜCK, verdiene es.

Das Leben       ist  LEBEN verteidige es.

Pfr. Bodo Windolf

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