Impuls für Radio Horeb vom 7. Juni 2011

St. Severin Garching

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Pfarrer Bodo Windolf, St. Severin Garching

„Alle sollen eins sein …“ – Anmerkungen zum Thema Ökumene

(Impuls in Radio Horeb am 7.6.2011)

Ein Sterbender, der die Zeit hat, sich bewusst auf seinen Tod vorzubereiten und auch die innere Stärke, den Tod nicht zu verdrängen, wird Vorsorge treffen für die, die er zurücklässt. Als ein verantwortungsbewusster Mensch wird er, wie man so schön sagt, sein Haus bestellen und alles so ordnen, wie er es vermag. Als ein gläubiger Mensch wird er den Rest in Gottes Hand legen. 

Genau so tut es Jesus vor seinem Tod. Es ist der Abend vor seiner Verurteilung und Kreuzigung. Mit seinen Freunden befindet er sich im Abendmahlssaal. Sein Abschiedsgespräch mit den Jüngern geht über in Gebet, nämlich in das sog. „Hohepriesterliche Gebet“. In diesen Tagen vor dem Pfingstfest hören wir, verteilt auf den vergangenen Sonntag und mehrere Werktage, verschiedene Abschnitte daraus. Sein ganzes Wirken auf Erden vertraut Jesus dem Vater an und dem Wirken des Heiligen Geistes. Natürlich sind es seine tiefsten Herzensanliegen, die er in seinem Gebet ausdrückt. Eines dieser Anliegen ist die Bitte um die Einheit. „Alle sollen eins sein … damit die Welt glaubt, dass du mich gesandt hast.“ 

Wie gut können wir diese Bitte nachvollziehen. Es ist eine der schwersten Sorgen von Eltern, wenn ihre Kinder miteinander zerstritten sind oder sich zu zerstreiten drohen, z.B. wegen des Erbes. Jesus wird geahnt haben, dass dies auch unter seinen Jüngern geschehen könnte – und geschehen wird, denn er war alles andere als naiv. Er hatte schon die Streitigkeiten seiner kleinen Jüngergruppe mitbekommen, und so hat er ohne Zweifel die zukünftigen Spaltungen vorausgesehen. Gerade deswegen hat er so gebetet und der ganzen Christenheit darin zugleich die Sorge um die Einheit als bleibenden Auftrag mitgegeben. 

Wie kann dieser Auftrag gelingen? Weit verbreitet ist die Auffassung, die die Süddeutsche Zeitung in ihrer Ausgabe vom 15. Mai des vergangenen Jahres in der Beilage zum „Ökumenischen Kirchentag“ einforderte, und zwar unter der Überschrift: „Das kümmert uns einen Schmarrn“? „An der Basis wächst der Groll über die hartleibige Haltung besonders der katholischen Kirchenfürsten in Sachen Ökumene. Längst haben die theologischen Grundsatzstreitigkeiten nichts mehr zu tun mit dem Lebensgefühl sehr vieler Christen aus beiden Konfessionen. Und immer mehr Gläubige haben sich entschlossen, die offizielle Linie zu ignorieren.“ 

Die Frage ist, ob dieses recht holzschnittartig daherkommende Reden über den in der Ökumene einzuschlagenden Weg zukunftsträchtig ist. Es zeichnet eine sehr simple Sicht der Dinge: Die Bösen und Übelmeinenden da oben in der Hierarchie, die Guten und Wohlmeinenden unten an der Basis. Nicht theologische Reflexion und redliches Ringen um die Wahrheit, sondern das allgemeine Bauchgefühl wird hier als Wegweiser empfohlen – sehr populär, um nicht zu sagen populistisch, aber auch zielführend?

Ich selber kenne viele Christen, die aus tiefer Überzeugung katholisch oder evangelisch sind und denen ihre jeweiligen konfessionellen Überzeugungen und Frömmigkeitsformen sehr viel bedeuten. Wer aus persönlicher Entschiedenheit in seiner Konfession lebt und zugleich zu differenzieren vermag, weiß und spürt, dass diese Art simpler Schwarz-weiß-Malerei weder den Amtsträgern noch dauerhaften ökumenischen Bemühungen gerecht wird. Es sei nur nebenbei erwähnt, dass Jesus selbst mit seiner Bergpredigt und seinem Anspruch dem Lebens- und „Bauch“gefühl unzähliger seiner Zeitgenossen alles andere als gerecht geworden ist. Es war eben kein dummes Versehen, dass er gekreuzigt wurde, sondern ganz im Gegenteil die Konsequenz seines Redens und Handelns gegen die Plausibilitäten und den common sense seiner Zeit. Das Lebensgefühl der Menschen ist bewusst einzubeziehen in alles kirchliche Lehren und Handeln, aber es kann nicht einfach das Kriterium für die Wahrheit des Evangeliums sein. Und letztlich muss es auch darum im ökumenischen Gespräch gehen.

Wie sieht demgegenüber eine ernstzunehmende und daher zukunftsträchtige Ökumene aus? Ein erster Schritt wäre aus meiner Sicht, die Freude darüber, was alles schon an Annäherung im ökumenischen Dialog erreicht worden ist, stets größer sein zu lassen als das Jammern über das noch nicht Erreichte. Hier gilt die allgemeine Lebensweisheit: Das fixierte Schauen auf das, was man nicht hat, macht übellaunig und vergällt jede Freude über das, was man schon hat. Die gemeinsame Freude über Erreichtes, über den Glauben und die Frömmigkeit des anderen und dass man diesen Glauben überhaupt miteinander feiern kann in Gottesdiensten verschiedenster Art, macht hoffnungsfroh für die Gegenwart und für die Zukunft. Jammern dagegen lähmt und zieht herunter und ist ein trauriger Gesell jeglichen Christseins.

Natürlich muss diese Freude ergänzt sein durch ein wirkliches Leiden an der bestehenden Trennung. Sie ist und bleibt ein Stachel im Fleisch der Christenheit. Zu sagen: Ich bin katholisch, Punkt, ich evangelisch, Punkt, alles andere interessiert mich nicht – wäre Verrat am Auftrag Jesu. 

Die Frage ist nur, wie mit diesem Trennenden umzugehen ist. Darüber hinwegsehen, es als nicht so wichtig nehmen und unter den Teppich kehren? Kein Eheberater würde einem Ehepaar, das sich auseinandergelebt hat und um eine gemeinsame Zukunft ringt, zu einer solchen Strategie raten. Kurzfristig mag es Erfolg haben, langfristig vertieft es eher die Uneinigkeit und damit das Desaster. 

Als Drittes ist daher die Tugend der Geduld notwendig, gepaart mit einem großen Respekt vor dem Glauben und der Glaubenstradition des jeweils anderen. Auch wenn inhaltlich – etwa in der Amtsfrage, im Kirchen- und Eucharistieverständnis oder leider auch in manchen ethischen Fragen – derzeit manches unüberbrückbar erscheint, könnte in atmosphärischer Hinsicht einiges wesentlich besser laufen. Populistische Profilierung auf Kosten anderer ist kein guter Ton in der Ökumene, wie es – es sei mir gestattet, das zu erwähnen – an Christi Himmelfahrt im vergangenen Jahr auf dem „Ökumenischen Kirchentag“ im Münchener Liebfrauendom zu hören war. Man mag zu der Sache stehen wie man will, aber was da Frau Käßmann über die „Pille als Gottesgeschenk“ sagte, wird weder dem durchaus komplexen Sachverhalt noch dem ökumenischen Gesprächspartner gerecht und sollte sich an einem solchen Ort und einer solchen Gelegenheit eigentlich schon aus Gründen des Anstands verbieten. 

Aber auch von katholischer Seite ist mehr Sensibilität für die Befindlichkeit der anderen Konfessionen zu wünschen, etwa, um nur ein Beispiel zu nennen, bei offiziellen Dokumenten. Der schroffe Ton, mit dem in der Erklärung „Dominus Iesus“ den reformatorischen Gemeinschaften das Kirchesein abgesprochen wurde, hat verständlicherweise Verletzungen hervorgerufen. Nicht dem Inhalt, sondern dem Stil nach hat Kardinal Walter Kasper diese Erklärung unglücklich gefunden und den Vorschlag gemacht, hier von „Kirchen eines anderen Typus“ zu sprechen. Mit diesem Begriff kann es gelingen, die durchaus grundlegende Differenz zwischen katholischem und evangelischem Kirchenverständnis deutlich zu machen, zugleich aber auch den Respekt auszudrücken vor dem Selbstverständnis der aus der Reformation hervorgegangenen Konfessionen. 

Respekt kann dabei freilich nicht bedeuten, Trennendes oder gar neuerdings Trennendes nicht beim Namen nennen zu dürfen. Zu den aus meiner Sicht betrüblichsten Entwicklungen in Sachen Ökumene gehören die zunehmenden Differenzen in ethischen Fragen, d.h. in Fragen, die vormals zum Bestand gemeinsamer Überzeugungen gehörten und in denen die Gemeinsamkeit und damit der ökumenische Konsens inzwischen aufgekündigt wird. Neben dem Lebensschutz sei ein weiteres Beispiel kurz benannt, nämlich das Thema Homosexualität. Ich bin sicher, dass der in einem offenen Brief geäußerte Protest von acht evangelischen Alt-Bischöfen gegen die jüngste Richtlinie der EKD, schwulen und lesbischen Pfarrern und Pfarrerinnen ihre Lebensweise offiziell im Pfarrhaus zu gestatten, der Ökumene einen großen Dienst erwiesen haben. Die Rücksichtslosigkeit, mit der hier bisherige konfessionelle Einigkeit aufgekündigt wird und eindeutige biblische Aussagen in ihr Gegenteil verkehrt werden, verheißt nichts Gutes für die Zukunft der Ökumene, wenn sich diese Linie auf Dauer fort- und durchsetzen sollte. Natürlich wird behauptet, die biblischen Stellen gegen Homosexualität seien aus der damaligen Zeit heraus zu verstehen und müssten im heutigen Verstehenshorizont anders gelesen werden. Sie wörtlich zu nehmen, sei verkehrter Biblizismus. Seltsam ist nur, dass solche „neuen Erkenntnisse“ über das rechte Verständnis der Bibel immer erst aufkommen, wenn säkulare Vorreiter bestimmte Dinge gesellschaftsfähig gemacht haben. Solchermaßen dem Zeitgeist stets hinterherzuhecheln erweist weder dem Evangelium noch der eigenen kirchlichen Gemeinschaft noch der Ökumene einen irgendwie gearteten Dienst. 

Unter dem Stichwort Respekt will ich mir am Schluss noch eine kritische Frage erlauben: nämlich die, ob es wirklich einem guten ökumenischen Stil entspricht und dem ökumenischen Anliegen dient, so beharrlich auch Katholiken zum evangelischen Abendmahl einzuladen, wohl wissend, dass man damit Katholiken zum Widerspruch gegen die eigene Kirche auffordert. Man stelle sich vor, Eltern untersagen dem eigenen Kind, bei den Nachbarn fern zu sehen, diese aber würden ohne Rücksicht darauf das Nachbarkind immer wieder neu einladen. Wer würde das nicht als respektlos und als Affront gegenüber den Eltern empfinden? Ich fürchte, dass dies einem guten ökumenischen Miteinander auf Dauer eher schadet.

Nach diesen auch kritischen Bemerkungen möchte ich schließen mit einem persönlichen Bekenntnis. Immer wieder erlebe ich mit Bewunderung und Freude die Gläubigkeit evangelischer Christen. Ich erlebe, dass wir vieles voneinander lernen können, wir von evangelischen Christen, diese von uns. Und ich erlebe, dass das gemeinsame Schauen auf Christus die eigentliche Brücke zu einer Einheit und Verbundenheit ist, die trotz konfessioneller Verschiedenheit schon hier und jetzt besteht und wirksam ist. 

Daher ist das Gebet und die Aufforderung Jesu: „Alle sollen eins sein“, ein Auftrag an alle Christen guten Willens. Beten wir in diesen Tagen vor Pfingsten um den Geist der Einheit, den Geist der Wahrheit, den Geist des gegenseitigen Verständnisses und Respekts, den Geist der Versöhnung, in allem aber um den Geist der Liebe. 

Pfr. Bodo Windolf

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